Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Narrenturm - Roman

Narrenturm - Roman

Titel: Narrenturm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
Vom Netzwerk:
rotem Tuch gefertigten Kelch. Aber als Einziger hatte er das hussitische Wappen direkt auf sein auf dem Waffenrock sichtbares Familienwappen geheftet   – schwarze gekreuzte Sturmleitern auf goldenem Feld.
    »Ich bin Brázda von Klinštejn, aus dem Geschlecht Ronovic«, bestätigte er ihre Vermutungen. »Und jetzt Schluss mit dem Gerede, wir müssen weiter. Die Zeit drängt. Und wir befinden uns hier auf feindlichem Territorium!«
    »Hier ist es gefährlich, das stimmt«, pflichtete ihm Scharley spöttisch bei, »wenn man den Kelch auf der Brust trägt.«
    »Im Gegenteil«, erwiderte Brázda von Klinštejn, »solch ein Zeichen bietet Schutz und Wehr.«
    »Tatsächlich?«
    »Bei passender Gelegenheit werdet ihr es selbst sehen.«
    Die Gelegenheit dazu bot sich sehr schnell.
    Auf den frischen Rossen ließ die Abteilung den Silberberger Pass rasch hinter sich, gleich dahinter, in der Nähe des Dorfes Ebersbach, trafen sie direkt auf eine bewaffnete Schar, die sich aus schwerer Reiterei und Schützen zusammensetzte. Die Schar zählte wenigstens dreißig Leute und folgte einem roten Banner, das ein Schafskopf, das Wappen der Haugwitz’, zierte.
    Und tatsächlich, Brázda von Klinštejn hatte absolut Recht.Haugwitz und seine Leute blieben nur so lange, bis sie erkannten, mit wem sie es zu tun hatten. Dann wandten die Ritter und die Schützen ihre Pferde und nahmen im Galopp Reißaus, so rasch, dass der Schlamm unter den Hufen nur so spritzte.
    »Nun, was sagt Ihr jetzt«, Brázda wandte sich zu Scharley um, »zum Zeichen des Kelches? Es wirkt recht gut, nicht wahr?«
    »Da gab es nichts zu meckern.«
    Sie galoppierten weiter und hielten die Pferde zu immer größerer Eile an. Während ihres schnellen Rittes mussten sie, da es zu schneien begonnen hatte, mehr als einmal Schneeflocken schlucken.
    Reynevan zweifelte nicht daran, dass sie nach Böhmen ritten, dass sie gleich hinter dem Tal der Steine abbiegen und dem Oberlauf des Flusses bis zur Grenze folgen würden, auf dem Weg, der direkt nach Braunau führte. Daher wunderte er sich, als die Abteilung im Galopp durch eine Senke auf das im Südwesten in bläulichem Schein auftauchende Heuscheuergebirge zuhielt. Er war nicht der Einzige, der sich wunderte.
    »Wohin reiten wir?«, rief Urban Horn durch Wind und Schneegestöber. »He! Halada! Herr Brázda!«
    »Wünschelburg!«, schrie Halada kurz zurück.
    »Wozu?«
    »Ambros!«
     
    Wünschelburg, das Reynevan nicht kannte, weil er nie dort gewesen war, erwies sich als ein recht einnehmendes Städtchen, das sich malerisch am Fuße waldbestandener Berge erstreckte.
    Über dem Mauerring erhoben sich rote Dächer, über ihnen strebte der schlanke Kirchturm in den Himmel. Der Anblick hätte stimmungsvoll sein können, wäre da nicht die gewaltige Rauchwolke gewesen, die über dem Städtchen stand.
    Wünschelburg war der Gegenstand einer Belagerung.
     
    Das Heer, das man vor Wünschelburg zusammengezogen hatte, zählte gut und gerne tausend Krieger, vor allem Fußvolk, zumeist, wie man sehen konnte, mit allen Arten von hölzernen Stoß- und Hiebwaffen ausgerüstet   – von einfachen Speeren und Spießen bis hin zu schwerer handzuhabenden Hellebarden.
    Wenigstens die Hälfte der Krieger war mit Armbrüsten und Schusswaffen ausgerüstet. Es gab auch eine Artillerie   – dem Stadttor gegenüber hatte man eine Steinbüchse von mittlerer Größe aufgestellt, hinter einer erhöht liegenden Barrikade verborgen, und in den Lücken zwischen den Pavesen standen Sturm- und Feldhaubitzen.
    Obgleich das Heer bedrohlich aussah, wirkte es doch wie festgefroren, wie verwunschen, stand still und reglos da. Dieser Anblick erinnerte an ein Gemälde   – ein
tableau
–, der einzige, noch dazu bewegliche Akzent waren nämlich die wie schwarze Punkte unter dem grauen Himmel kreisenden Krähen. Und die sich über der Stadt ballende Rauchwolke, die hier und da rote Flammenzungen berührten.
    Sie trabten zwischen die Wagen hindurch. Reynevan erblickte zum ersten Mal die berühmten hussitischen Kampfwagen aus der Nähe und betrachtete sie mit Interesse, bewunderte die findige Konstruktion der aus dicken Brettern zusammengefügten, heruntergelassenen Schanzen, die, bei Bedarf aufgezogen, die Vehikel in eine wahre Bastion verwandelten.
    Man hatte sie erkannt.
    »Herr Brázda«, grüßte ein Böhme knapp, im Halbpanzer und mit einer Pelzkappe, den bei den höheren Dienstgraden obligatorischen roten Kelch auf der Brust. »Hat sich der wohlgeborene

Weitere Kostenlose Bücher