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Narrenturm - Roman

Narrenturm - Roman

Titel: Narrenturm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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nicht. Er lächelte nur. Ein hässliches Lächeln, nur mit den Mundwinkeln, dazu ein Blick aus eiskalten Augen.
     
    »Ich muss hier raus«, sagte Reynevan leise, mitten im Kerker stehend. »Ich muss hier raus. Sonst werde ich meine blonde Nicoletta, Katharina Biberstein, verlieren. Ich muss von hier fliehen. Und ich weiß einen Weg.«
     
    Scharley und Horn hörten sich seinen Plan sogar in Ruhe an, sie warteten, ohne ihn zu unterbrechen, bis Reynevan geendet hatte. Erst dann fing Horn an zu lachen, schüttelte den Kopf und entfernte sich. Scharley blieb ernst. Todernst, könnte man sagen.
    »Ich kann verstehen«, sagte er, »wenn dir die Angst den Verstand vernebelt hat. Und ich kann dich bedauern. Aber beleidige meine Intelligenz nicht, mein Junge.«
    »An den Wänden befindet sich immer noch das
occultum
, die Glyphen und Siegel von Circulos«, wiederholte Reynevan geduldig. »Außerdem habe ich, hier bitte, auch noch sein Amulett, es ist mir gelungen, es unbemerkt an mich zu nehmen. Circulos hat mir den aktivierenden Spruch verraten, er hat mir den Verlauf der Beschwörung geschildert, ein wenig kenne ich mich auch mit Anrufungen aus, das habe ich studiert . . . Die Chance ist, das gebe ich zu, gering, aber sie existiert. Sie existiert! Ich verstehe deine Zurückhaltung nicht, Scharley. Zweifelst du an der Magie? Und Huon von Sagar? Und Samson? Samson ist doch . . .«
    »Samson ist ein Betrüger«, unterbrach ihn der Demerit. »Ein sympathischer, gewitzter, netter Gefährte. Aber ein Betrüger und Scharlatan. Wie die meisten, die sich auf Zauber und Zauberei berufen. Außerdem hat das keinerlei Bedeutung. Reinmar, ich zweifle nicht an der Magie, aber an dir. Ich habe gesehen, dass du Levitationen beherrschst und in der Lage bist, Wege zu finden, denn was die fliegende Bank betrifft, so hat dich zweifellos von Sagar draufgesetzt, von allein wärst du nicht geflogen. Aber zu einem echten Dämonenbeschwörer, mein Jungchen, fehlt dir noch viel. Das musst du doch selbst merken. Du musst doch selbst sehen, dass die Hieroglyphen, Pentagrammeund alles, was dieser Kretin dorthin gekritzelt hat, der ganze Hokuspokus, zu nichts führen. Und auch nicht jenes erbarmenswerte Amulett, dieser vollgeschissene Jahrmarktsplunder. Das muss dir doch klar sein. Deshalb, ich wiederhole, beleidige bitte weder meine noch deine eigene Intelligenz.«
    »Ich weiß keinen anderen Weg.« Reynevan biss die Zähne zusammen. »Ich muss es versuchen. Das ist die einzige Chance für mich.«
    Scharley zuckte mit den Achseln und verdrehte die Augen.
     
    Das
occultum
des Circulos, das musste Reynevan zugeben, befand sich in einem mehr als jämmerlichen Zustand. Es war schmutzig, und alle magischen Bücher verlangten doch, dass die Sanktuarien von außerordentlicher, ja fast steriler Sauberkeit waren. Der Goetische Kreis an der Wand war nicht sehr gleichmäßig gezeichnet, doch die Regeln der
Sacra Goetia
hoben hervor, wie wichtig eine präzise Zeichnung war. Ob die in den Kreis eingetragenen Beschwörungen richtig waren, wusste Reynevan auch nicht genau.
    Das Zeremoniell der Beschwörung konnte nicht um Mitternacht stattfinden, wie die Grimuarien es verlangten, sondern nur zur Dämmerstunde, denn um Mitternacht verhinderte die Dunkelheit im Turm jegliche Aktionen. Von den schwarzen Kerzen, die laut Ritual Vorschrift waren, konnte auch nicht die Rede sein, ja nicht einmal von Kerzen in irgendeiner anderen Farbe. Aus gutem Grund gab man den Irren im Narrenturm weder Kerzen noch Funzeln noch Lampen oder irgendetwas, das einen Brand entfachen konnte.
    Im Prinzip, dachte er betrübt, während er sich ans Werk machte, erfülle ich die Forderungen der Grimuarien nur in einem einzigen Punkt: Der Magier, der eine Evokation oder Invokation durchführen wollte, musste die Bedingung erfüllen, sich lange der fleischlichen Genüsse enthalten zu haben. Ich bin schon seit anderthalb Monaten absolut, wenn auch nicht freiwillig, abstinent.
    Scharley und Horn sahen ihm aus der Entfernung zu und schwiegen. Auch Thomas Alpha war still, hauptsächlich deshalb, weil man ihm Prügel angedroht hatte, sollte er sich in irgendeiner Weise erdreisten, die Ruhe zu stören.
    Reynevan hatte die Anordnung des
occultum
beendet und zog um sich herum einen magischen Kreis. Er räusperte sich und breitete die Arme aus.
    »Emites!«, begann er mit klangvoller Stimme, den Blick auf die Glyphen des Goetischen Kreises gerichtet. »Ponzor! Pagor! Anitor!«
    Horn lachte leise. Scharley

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