Narrenturm - Roman
»nachdem du mir gestanden hast, was du in der Nacht der Herbstgleiche auf dem Erbsberg zu schaffen hattest. Und wer die Frau war, mit der man dich dort gesehen hat. Du wirst mir dann auch sagen, wer von den Geistlichen sich den Spaß mit dem Klistier erlaubt hat. Leb wohl, Reynevan.« Auf der Schwelle wandte er sich um, »Ah, eins noch. Bernhard Roth alias Urban Horn. Grüß ihn von mir. Und richte ihm aus, dass jetzt . . .«
». . . dass jetzt keine Zeit dazu ist«, wiederholte Reynevan, »sich so mit dir zu befassen, wie es dir zusteht. Er möchte das nicht nur oberflächlich tun, so auf die Schnelle und Hals über Kopf. Er möchte gemeinsam mit Bruder Arnulf so viel Zeit und Anstrengung darauf verwenden, wie du tatsächlich verdienst. Und er wird damit gleich nach seiner Rückkehr beginnen, spätestens an St. Lucia. Er rät dir, du mögest das Wissen, über das du verfügst, sorgfältig ordnen, denn du wirst dieses Wissen mit dem Heiligen Officium teilen müssen.«
»Dieser Hurensohn!« Urban Horn spie auf das Stroh. »Der will mich weich kochen. Mich mürbe machen. Der weiß, was er tut. Hast du ihm das von Konrad von Marburg gesagt?«
»Das kannst du ihm selber sagen.«
Die übrig gebliebenen Bewohner des Turmes saßen schweigend da, in ihr Stroh vergraben. Manche schnarchten, manche weinten vor sich hin, manche beteten still.
»Was ist mit mir?«, beendete Reynevan das Schweigen. »Was soll ich tun?«
»Du hast vielleicht Sorgen«, sagte Scharley gedehnt, »ausgerechnet du. Horn hat die Folter vor sich. Ich, wer weiß, was schlimmer ist, werde hier vielleicht bis ans Ende aller Zeiten vor mich hin faulen. Und du hast ein Problem, ha, dass ich nicht lache! Der Inquisitor ist dein Studienfreund, der dir die Freiheit auf dem Tablett serviert, als Geschenk . . .«
»Als Geschenk?«
»Na als was denn sonst! Du unterschreibst den Loyalitätswisch und bist draußen.«
»Als Spion?«
»Keine Rose ohne Dornen.«
»Aber ich will nicht. Mir ekelt vor so einer Prozedur. Das lässt mein Gewissen nicht zu. Ich will nicht . . .«
»Beiß die Zähne zusammen«, Scharley zuckte mit den Schultern, »und zwing dich dazu.«
»Horn?«
»Was heißt hier, Horn?« Der Angesprochene drehte sich heftig um. »Du willst einen Rat von mir? Du willst moralischen Beistand? So höre. Zur Natur des Menschen gehört der Widerstand. Der Widerstand gegen gewissenloses Handeln. Die Verweigerung der Zustimmung zur ehrlosen Tat. Das Widerstreben, dem Bösen Folge zu leisten. Das ist angeboren, das sind natürliche Eigenschaften des Menschen.
Ergo,
keinen Widerstand leistet nur, wer kein Mensch mehr ist. Nur niederträchtige Kreaturen werden aus Angst vor der Folter zu Verrätern.«
»Und deshalb?«
»Und deshalb«, Horn verschränkte seine Hände über der Brust und zuckte nicht mit der Wimper, »und daher unterschreibstdu den Loyalitätswisch und erklärst dich bereit zur Zusammenarbeit. Gehst nach Böhmen, wie sie es dir befehlen. Und dort . . . Dort leistest du Widerstand.«
»Ich verstehe nicht . . .«
»Nein?« Scharley lachte. »Wirklich nicht? Unser Freund, Reinmar, hat seinen Vortrag über die moralische und reine Natur des Menschen lediglich einem unmoralischen Vorschlag vorangestellt. Er schlägt dir vor, ein sogenannter Doppelagent zu werden, der für beide Seiten arbeitet, für die Inquisition und die Hussiten. Dass er selbst ein hussitischer Emissär und Spion ist, weiß inzwischen jeder, außer vielleicht die dort im Stroh herumjammernden Debilen. Stimmt’s, Urban Horn? Was du unserem Reynevan geraten hast, scheint nicht dumm zu sein, aber die Sache hat einen Haken. Die Hussiten kennen sich nämlich, wie alle, die mit Spionen zu tun haben, mit Doppelagenten aus. Sie haben herausgefunden, dass es oft Tripelagenten sind. Daher wird jemand, der bei ihnen auftaucht, keineswegs ins Vertrauen gezogen, sondern, ganz im Gegenteil, zuerst durch Folter zu einem Geständnis gezwungen. Dein Rat, Urban Horn, bedeutet, dass Reynevan ein trauriges Schicksal ereilen wird. Es sei denn . . . Es sei denn, du verschaffst ihm in Böhmen einen vertrauenswürdigen Kontakt. Nennst ihm eine geheime Losung . . . Etwas, woran die Hussiten glauben. Aber . . .«
»Sprich weiter.«
»So etwas wirst du ihm nicht geben. Weil du nicht weißt, ob er den Loyalitätswisch nicht schon längst unterschrieben hat. Und ob er nicht schon längst von seinem Kommilitonen, dem Inquisitor, gelernt hat, für beide Seiten zu spionieren.«
Horn antwortete
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