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Narrenturm - Roman

Narrenturm - Roman

Titel: Narrenturm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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ihre Köpfe hinweg und zerteilte ein Brett. Sie rannten gebückt über den Hof. Reynevan stolperte und fiel auf die Knie, in den mit Blut durchsetzten Schlamm. In der Nähe des Tores und des Spitals lagen Tote   – einige Brüder des Heiligen Grabes in ihren Habiten, einige Knechte, ein paar Soldaten der Inquisition, die Gregor Hejncze anscheinend zurückgelassen hatte.
    »Schneller!« Tybald Raabe trieb sie an. »Zu den Pferden!«
    »Hierher!« Der Anführer der Böhmen in seiner Rüstung drängte sich mit einer Fackel in der Hand dazwischen, verschmutzt und rußgeschwärzt wie der Teufel. »Schnell! Schnell!«
    Er holte weit aus und warf die Fackel auf das Strohdach des Schuppens. Die Fackel rollte über das feuchte Stroh und erlosch zischend im Schlamm. Der Böhme fluchte.
    Es roch nach Rauch und Brand, aus den Dächern der Ställe schossen Flammen empor, ein paar Böhmen brachten die scheuenden Pferde heraus. Wieder knallten Schüsse, erhoben sich Lärm und Geschrei, an der Spitalkirche wurde gekämpft, wie man sich denken konnte, aus der Kirche, aus den kleinen Turmfenstern und den Chorfenstern, wurde mit Armbrüsten und Hakenbüchsen geschossen und alles, was sich bewegte, aufs Korn genommen. Neben dem Eingang zum brennenden Medicinarium lag, an die Mauer gelehnt, ein Bruder des Heiligen Grabes. Es war Bruder Tranquilus. Der nasse Habit glimmte und schwelte. Der Mönch hielt sich mit beiden Händen den Leib, zwischen seinen Fingern strömte das Blut hervor. Seine Augen waren geöffnet, er blickte vor sich hin, nahm aber anscheinend schon nichts mehr wahr.
    »Tötet ihn!« Halada wies auf ihn.
    »Nein!« Reynevans dünner Schrei hielt die Hussiten zurück. »Nein! Lasst ihn!«
    »Er stirbt . . .«, setzte er leiser hinzu, als er die drohenden, wilden Blicke bemerkte. »Lasst ihn in Frieden sterben.«
    »Umso mehr, als die Zeit drängt«, rief der verrußte Reiter, »was sollen wir sie an einen Halbtoten verschwenden! Weiter, weiter, aufs Pferd!«
    Reynevan, immer noch halb träumend, wie in Trance, sprang in den Sattel des Pferdes, das sie ihm hielten. Scharley, der neben ihm ritt, stieß ihn mit dem Knie an.
    Vor sich hatte er Samsons breiten Rücken, auf der anderen Seite Urban Horn.
    »Pass auf«, zischte ihm Horn gerade zu, »mit wem du dich anlegst. Das hier sind die Waisen aus Hradec Králové. Mit denen ist nicht gut Kirschen essen.«
    »Das war Bruder Tranquilus.«
    »Ich weiß, wer das war.«
    Sie stürmten aus dem Tor, mitten hinein in den Rauch. Die Mühle des Spitals und die Schuppen ringsherum brannten, standen in Flammen. In der Stadt läuteten immer noch die Glocken, auf den Mauern wimmelte es von Leuten.
    Weitere Reiter gesellten sich zu ihnen, angeführt von einem Schnauzbärtigen im
cuir-bouilli
und mit einem stachelbewehrten Helm.
    »Da hatten sie die Tür zur Vorhalle schon fast eingeschlagen!«, der Schnauzbärtige wies auf die Kirche. »Da wäre was zu holen gewesen! Bruder Brázda! Noch drei Vaterunser, und die Sache wäre erledigt gewesen!«
    »Noch zwei Vaterunser«, der mit dem Namen Brázda angesprochene Rußige zeigte auf die Mauer, »und die dort kommen endlich drauf, wie viele wir in Wahrheit sind. Dann kommen sie hervor, und in genauso kurzer Zeit machen sie uns den Garaus. Auf die Pferde, Bruder Velek!«
    Sie preschten im Galopp davon, Schlamm und schmelzender Schnee spritzten auf. Reynevan war wieder so weit zur Besinnung gekommen, dass er die Böhmen zählen konnte. Er fand heraus, dass es etwa zwanzig waren, die Frankenstein angegriffen hatten. Er wusste nicht, ob er eher ihre Tapferkeit und ihre Tollkühnheit bewundern oder sich über die Verwüstungen wundern sollte, die diese Hand voll Leute hinterlassen hatten   – außer den Gebäuden des Hospitals und der Spitalmühle hatte das Feuer auch die Färberbuden am Ufer des Pausebaches verschlungen, auch die Schuppen an der Brücke und die Scheune, die in unmittelbarer Nähe des Glatzer Tores stand, brannten.
    »Auf Wiedersehen!« Der Velek genannte Schnauzbart im
cuir-bouilli
wandte sich um und drohte den auf der Mauer stehenden Städtern mit der Faust. »Auf Wiedersehen, ihr Papisten! Wir kommen wieder!«
    Schüsse und Geschrei von den Mauern herab waren die Antwort darauf. Ein sehr kampfesmutiges und kühnes Geschrei   – mittlerweile hatten auch die Bürger der Stadt die Hussiten gezählt.
     
    Sie stürmten dahin, ohne die Pferde im Mindesten zu schonen. Obwohl es aussah, als würden sie völlig kopflos fliehen, war

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