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Narrenturm - Roman

Narrenturm - Roman

Titel: Narrenturm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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unvergesslichen Jan Žižka verwaist zurückgeblieben waren. Solange Žižka lebte, hätten sich die Waisen, die damals natürlich noch keine Waisenwaren, das neue oder kleine Tábor genannt, und dies im Unterschied zum alten Tábor, zu den Táboriten. Das neue oder kleine Tabor habe Žižka in Anlehnung an die Orebiten gegründet, jene Rechtgläubigen, die sich auf dem Berg Oreb unweit von Třebechovice versammelt hätten, im Unterschied zu den Taboriten, die sich auf dem Berge Tábor an der Lainsitz versammelt und dort ihre Festung errichtet hätten. Man dürfe auch nicht, belehrte der rechtgläubige Hetman der Waisen vom neuen Tábor streng, Orebiten und Taboriten durcheinanderbringen, und eine wirklich strafwürdige Übertretung sei es, sie mit irgendeiner von diesen Calixtinergruppen von Prag zu verwechseln. Während man in der Prager Neustadt noch richtige Rechtgläubige antreffen könne, lehrte der Orebit vom Berge bei Třebechovice, sei die Altstadt ein Nest der Gemäßigten, die Calixtiner oder Utraquisten genannt würden, und mit denen die guten Böhmen nicht in Verbindung gebracht werden wollten und sollten. Aber auch die Prager dürfe man nicht »Hussiten« nennen, dies sagten nur die Feinde.
    Reynevan schaukelte ein wenig schläfrig im Sattel hin und her und sagte von Zeit zu Zeit, er verstehe, was nicht der Wahrheit entsprach. Es hatte wieder zu schneien begonnen und binnen kürzester Zeit herrschte ein Schneegestöber.
     
    Hinter dem Wald an der Wegkreuzung stand in der Nähe des heruntergebrannten Gabersdorf ein steinernes Sühnekreuz, Zeichen eines Verbrechens und einer Sühne, wie sie in Schlesien häufig anzutreffen sind. Gestern, als Gabersdorf niedergebrannt worden war, hatte Reynevan das Kreuz nicht bemerkt. Es war Abend gewesen, dämmrig, und Schnee war gefallen. Da bemerkte man viele Dinge nicht.
    Die Arme des Kreuzes endeten in Form eines Kleeblattes. Daneben standen zwei Wagen, keine Kampfwagen, sondern gewöhnliche, wie man sie zum Transport einer Ladung verwendet. Einer neigte sich stark zur Seite, das auf die Nabegestützte Rad hatte zerbrochene Speichen und einen verformten Reifen. Vier Leute mühten sich vergeblich, den Wagen so aufzurichten, dass zwei andere das gebrochene Rad herunternehmen und durch ein neues Rad ersetzen konnten.
    »Helft uns!«, rief einer, »Brüder!«
    »So ladet den Wagen doch ab!«, donnerte Halada. »Dann wird es leichter!«
    »Das ist ja nicht bloß das Rad«, rief der Kutscher zurück, »die Deichsel ist gebrochen, wir können nicht anspannen! Einer muss nach vorn reiten und ein Gespann zurückholen! Dann laden wir die Güter um . . .«
    »Hol der Teufel die Ladung! Seht ihr nicht, welch ein Schneegestöber herrscht? Wollt ihr zurückbleiben?«
    »Schade um die Beute!«
    »Und um deinen Hintern ist’s dir nicht schade? Vielleicht sind Verfolger hinter uns . . .«
    Die Worte blieben Halada in der Kehle stecken. Denn er hatte sie zu einer bösen, sehr bösen Stunde ausgesprochen.
    Pferde schnaubten, aus dem Wald kam eine Ritterschar in voller Rüstung hervor. Es waren etwa dreißig, in der Mehrzahl Johanniter.
    Sie ritten gleichmäßig, diszipliniert, keines der Pferde durchbrach auch nur mit der Nase die geschlossene Formation.
    Von der anderen Seite des Weges kam zwischen den Bäumen ein zweiter, gleich starker Tross zum Vorschein. Voran die Standarte mit dem Schafskopf der Haugwitz’. In geschlossener Reihe ausschwärmend, schnitten sie den Waisen geschickt den Fluchtweg ab.
    »Wir müssen durchbrechen!«, brüllte einer der jüngeren Reiter. »Bruder Oldřich! Wir müssen durchbrechen!«
    »Wie denn?«, knurrte Halada. »Durch die Lanzen? Die spießen uns auf wie die Hühner. Absitzen! Und zwischen die Wagen! Wir verkaufen unsere Haut möglichst teuer!«
    Es war keine Zeit mehr zu verlieren, die Ritter, die sie eingeschlossen hatten, trieben ihre Pferde zum Galopp an, dieJohanniter hatten schon die Visiere ihrer Helme heruntergeklappt und die Lanzen eingelegt. Die Hussiten sprangen von den Pferden und gingen hinter den Wagen in Deckung, einige krochen sogar darunter. Diejenigen, für die hinter den Wagen kein Platz mehr war, knieten mit gespannten Armbrüsten nieder. Auf den Wagen hatten sich außer geraubten liturgischen Gefäßen durch einen glücklichen Zufall auch Waffen befunden, zumeist solche aus Holz. Im Handumdrehen hatten die Böhmen Hellebarden, Partisanen, Speere und Spieße unter sich aufgeteilt. Jemand drückt Reynevan einen Spieß mit

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