Narrenturm - Roman
und von Hieronymus von Prag? Für wen seid ihr denn eingetreten, wenn nicht für die verfolgten Begarden und Wyclifiten? Was habt ihr denn verteidigt, wenn nicht das Recht auf die Kommunion in beiderlei Gestalt? Als ihr euch zur
iustitia popularis
erklärt habt, wogegen seid ihr denn losgestürmt, wenn nicht gegen den Reichtum und die Sittenlosigkeit des Klerus? Wozu habt ihr denn in den Straßen aufgerufen, wenn nicht zu Reformen
in capite et in membris?
Scharley? Wie war das denn?«
»Es war, wie es war«, antwortete der Demerit nach einerWeile. »Aber das war vor sieben Jahren. Du wunderst dich vielleicht darüber, aber manche Leute können aus ihren Fehlern lernen und Konsequenzen daraus ziehen.«
»Am Beginn unserer Bekanntschaft«, erklärte Reynevan, »und das ist schon so lange her, dass es scheint, als seien Jahrhunderte vergangen, hast du mich, wenn ich mich recht entsinne, mit folgendem Satz belehrt: Der Schöpfer hat uns nach seinem Bilde geschaffen, aber er hat uns individuelle Züge verliehen. Ich, Scharley, lösche weder die Vergangenheit aus, noch vergesse ich sie. Ich werde nach Schlesien zurückkehren und meine Rechnungen begleichen. Ich werde alle Rechnungen begleichen und alle Schulden zahlen, mit entsprechenden Zinsen. Von Hradec Králové ist es aber nach Schlesien näher, als nach Buda . . .«
»Und dir hat es gefallen«, unterbrach Scharley, »wie Propst Ambros aus Hradec Králové seine Rechnungen begleicht. Habe ich nicht Recht, Samson, ist er nicht ein Neophyt?«
»Nicht ganz.« Samson war so leise herangetreten, dass Reynevan ihn nicht gehört hatte. »Nicht völlig, Scharley. Hier geht es um etwas anderes. Nämlich um Fräulein Katharina Biberstein. Unser Reinmar hat sich wohl wieder einmal verliebt.«
Noch bevor der Morgen graute, kam es zum Abschied.
»Leb wohl, Reinmar.« Urban Horn drückte Reynevan die Hand. »Ich verschwinde. Zu viele haben mein Gesicht schon gesehen, in meinem Beruf ist das eine gefährliche Sache. Und ich habe die Absicht, meinen Beruf weiterhin auszuüben.«
»Der Bischof von Breslau weiß bereits von dir«, warnte ihn Reynevan. »Sicher wissen es auch die schwarzen Reiter, die
Adsumus!
schreien.«
»Zeit, sich zu verstecken und abzuwarten. Bei wohlgesinnten Leuten. Ich reite daher zuerst nach Oberglogau. Und dann nach Polen.«
»In Polen ist es nicht sicher. Ich habe dir doch erzählt, was wir in Eichau belauscht haben. Bischof Zbigniew Oleśnicki. . .«
»Polen besteht nicht nur aus ihm. Im Gegenteil, Polen entspricht nur zu einem ganz geringen Teil einem Oleśnicki, einem Łaskarz oder Elgot. Polen, mein Junge, das . . . Das sind die anderen. Europa, mein Junge, wird sich in kurzer Zeit verändern. Und zwar, weil Polen seinen Beitrag dazu leisten wird. Leb wohl, Junge.«
»Wir werden uns sicher wiederbegegnen. Du kehrst nach Schlesien zurück, wie ich dich kenne. Ich werde auch dorthin zurückkehren. Ich habe dort noch ein paar Dinge zu erledigen.«
»Wer weiß, vielleicht erledigen wir die gemeinsam. Bei ein und derselben Gelegenheit. Aber, damit es auch dazu kommt, Reinmar von Bielau, nimm einen gut gemeinten Rat an: Beschwöre keine Dämonen mehr. Bestehe nicht mehr darauf.«
»Das tue ich nicht.«
»Und noch ein Rat: Wenn du ernsthaft daran denkst, in Zukunft mit mir für unsere Sache zusammenzuarbeiten, dann übe dich mit dem Schwert. Dem Stilett. Der Armbrust.«
»Ich werde üben. Leb wohl, Horn.«
»Lebt wohl, Junker.« Tybald Raabe trat hinzu. »Auch für mich wird es Zeit. Man muss etwas für die Sache tun.«
»Gebt auf Euch Acht.«
»Ich denke schon.«
Obwohl Reynevan tatsächlich dazu bereit war, mit der Waffe in der Hand an der Seite der Hussiten zu kämpfen, war es ihm doch nicht gegeben. Ambros verlangte kategorisch, dass er gemeinsam mit Scharley während des Sturmes auf Wartha bei ihm, beim Stab, blieb. Reynevan und Scharley – aufmerksam von der Eskorte beobachtet – blieben also beim Stab, während das Hussitenheer im Schneefall über die Neiße setzte und in vorbildlicher Ordnung vor der Stadt Stellung bezog. Von der Nordseite her stieg schon Qualm in den Himmel – Brázdas und Chrastickýs Reiterei hatten hinter den feindlichen Linien bereits die Mühle und die Hütten der Vorstadt in Brand gesetzt.
Wartha war zur Verteidigung bereit, auf den Mauern wimmelte es von Bewaffneten, Standarten wehten und Rufe hallten. Laut erklangen die Glocken der beiden Kirchen, der böhmischen und der deutschen.
Vor
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