Narrenturm - Roman
doch eindeutig um einen höheren Zweck. Höher als du und dein ganzer Pfarrsprengel. Ich sehe, du möchtest antworten. Also sprich.«
»Drei Viertel meiner Pfarrkinder«, stammelte Pfarrer Granciszek, »sind nicht besonders helle, ich würde sogar sagen,
pro maiori parte illiterati et idiotae.
Aber da ist noch das eine Viertel . . . Die, die in der Predigt nicht hören wollen, was die Kurie befiehlt. Natürlich sage ich, dass die Hussiten Ketzer, Mörder und Verbrecher sind, Žižka und Korand wahre Teufel, Verbrecher, Gotteslästerer und Heiligenschänder, die die ewige Verdammnis und Höllenqualen erwarten. Aber ich kann doch nicht behaupten, dass sie Säuglinge fressen. Und dass bei ihnen die Ehefrauen Gemeingut sind. Und dass . . .«
»Hast du nicht verstanden?«, unterbrach ihn der Kanonikus brüsk. »Hast du meine Worte nicht verstanden, Pfarrer?
Roma locuta!
Und für dich ist Rom Breslau. Du sollst predigen, wie dir gepredigt wurde, Prediger! Von gemeinsamen Weibern, von gefressenen Säuglingen, von bei lebendigem Leibe gekochten Mönchen, von katholischen Priestern, denen man die Zunge herausgerissen hat, von Sodomie. Wenn du solche Anweisungenerhältst, dann wirst du predigen, dass einem nach der Kommunion aus einem hussitischen Kelch Haare auf dem Gaumen und Hundeschwänze am Hintern wachsen. Ich scherze keineswegs, ich habe Briefe mit solchem Inhalt in der bischöflichen Kanzlei gesehen.
»Außerdem«, fügte er mit einem leicht mitleidigen Blick auf den zusammengesunkenen Granciszek hinzu, »woher willst du wissen, dass ihnen keine Schwänze wachsen? Warst du in Prag? In Tábor? In Hradec Králové? Hast du die Kommunion
sub utraque specie
empfangen?«
»Nein!« Der Propst verschluckte sich fast am eigenen Atem. »Niemals!«
»Das ist auch gut so.
Causa finita.
Die Audienz auch. In Breslau werde ich sagen, dass eine Ermahnung genügt hat und dass es mit dir keine Schwierigkeiten mehr geben wird. Jetzt aber, damit du nicht glaubst, du hättest die Pilgerfahrt umsonst gemacht, wirst du bei meinem Beichtvater die Beichte ablegen. Und du wirst die Buße tun, die er dir auferlegt. Pater Felician!«
»Ja, Euer Hochwürden?«
»Er soll in Kreuzhaltung vor dem Hauptaltar von St. Gotthard liegen, die ganze Nacht hindurch, von der Komplet bis zur Prim. Der Rest nach deinem Gutdünken.«
»Möge Gott ihn in seiner Obhut . . .«
»Amen. Bleib gesund, Propst.«
Otto Beess seufzte und hielt einem Kleriker den leeren Pokal entgegen, der diesen sofort mit klarem Wein füllte.
»Für heute keine Bittsteller mehr. Erlaube, Reinmar.«
»Ehrwürdiger Vater . . . Bevor . . . Ich habe eine Bitte . . .«
»Ich höre.«
»Mich hat auf dem Weg ein Rabbiner aus Brieg begleitet und ist mit mir hierher gekommen . . .«
Otto Beess gab mit einer Handbewegung den Befehl. Nach einer Weile führte ein Kleriker Hiram ben Elieser herein. Der Jude verneigte sich tief, und seine Fuchskappe fegte dabei den Boden. Der Kanonikus betrachtete ihn aufmerksam.
»Was wünscht«, sagte er zähneknirschend, »der Sprecher der jüdischen Gemeinde von Brieg von mir?«
»Der ehrwürdige Herr Pfarrer fragt, in welcher Angelegenheit?« Rabbi Hiram hob seine buschigen Brauen. »Gott Abrahams! In was für einer Angelegenheit, frage ich mich, kann ein Jude zum ehrwürdigen Herrn Kanonikus kommen? Worum, frage ich mich, kann es gehen? Und dann antworte ich, dass es um die Wahrheit geht. Die Wahrheit des Evangeliums.«
»Die Wahrheit des Evangeliums?«
»Nicht anders.«
»Sprich, Rabbi Hiram. Lass mich nicht warten.«
»Wenn es der ehrwürdige Herr Pfarrer befiehlt, dann spreche ich, warum soll ich nicht sprechen? Ich spreche so: Es laufen verschiedene Herren durch Brieg, durch Ohlau und durch Grottkau und rufen dazu auf, die elenden Mörder von Jesus Christus zu erschlagen, ihre Häuser zu plündern und ihre Frauen und Töchter zu schänden. Auf die ehrenwerten Herren Prälaten berufen sich jene Aufwiegler, darauf, dass dieses Schlagen, Rauben und Vergewaltigen göttlicher und bischöflicher Wille sei.«
»Sprich weiter, Freund Hiram. Du siehst ja, dass ich geduldig bin.«
»Was soll ich da noch viel sagen? Ich, Rabbi Hiram ben Elieser von der jüdischen Gemeinde in Brieg, bitte den ehrenwerten Herrn Pfarrer, die Wahrheit des Evangeliums zu schützen. Wenn man schon die Mörder von Jesus Christus schlagen und berauben muss, dann bitte, schlagt! Aber, beim Urvater Moses, schlagt die richtigen. Die, die ihn gekreuzigt haben. Das heißt,
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