Narrenturm - Roman
muss wohl auch Hexerei im Spiel gewesen sein, wenn sie vor das Gericht der Dominikaner gekommen ist . . .«
»Wenn sie ihn vergiftet hat, geschieht ihr ganz recht!«
»Klar geschieht ihr recht!«
»Still jetzt!«, befahl Propst Granciszek. »Die Priester verlesen das Urteil, und man kann nichts hören.«
»Wozu sollen wir es denn hören?«, spottete Urban Horn.»Es steht doch alles schon fest. Die auf den Scheiterhaufen sind
haeretici pessimi et notorii.
Und die Kirche, die Blutvergießen verabscheut, überlässt die Bestrafung der Schuldigen dem
brachium saeculare,
dem weltlichen Arm.«
»Still, hab’ ich gesagt!«
»
Ecclesia non sitit sanguinem
.« Die Stimme, die von den Scheiterhaufen her erklang, war vom Wind halb verweht und drang durch das Gemurmel der Menge nur gedämpft herüber. »Die Kirche will kein Blutvergießen und schaudert davor . . . So soll denn das
brachium saeculare,
der weltliche Arm der Gerichtsbarkeit, Gerechtigkeit walten lassen und die Strafe verhängen.
Requiem aeternam dona eis . . .
«
Ein Aufschrei ging durch die Menge. Etwas hatte sich bei den Scheiterhaufen ereignet. Reynevan stand auf, aber es war zu spät. Der Henker stand bereits bei der Frau, er tat etwas hinter ihrem Rücken, es sah so aus, als wolle er den Strick, der um ihren Hals geschlungen war, zurechtrücken. Der Kopf der Frau sank auf die Schulter herab, sanft, wie eine abgeschnittene Blüte.
»Er hat sie erwürgt«, seufzte der Propst leise, als hätte er dergleichen nie gesehen. »Er hat ihr den Hals gebrochen. Dem Lehrer auch. Sie haben wohl beide bei der Untersuchung Reue zeigen müssen.«
»Und jemanden verraten«, fügte Urban Horn hinzu. »Also alles wie immer.«
Der Pöbel heulte und tobte, unzufrieden mit der Gnade, die dem Lehrer und der Giftmischerin erwiesen worden war. Der Lärm schwoll mächtig an, als eine helle Flamme aus dem Reisig schlug, gewaltig emporloderte und im selben Augenblick alle Scheiterhaufen mitsamt den Pfählen und den daran festgebundenen Menschen ergriff. Das Feuer prasselte, loderte hoch auf, die Menge wich vor der sich ausbreitenden Hitze zurück, was das Gedränge noch vergrößerte.
»Stümperei!«, schrie der Ziegelbrenner. »Scheißarbeit! Trockenes Reisig, sie haben trockenes Reisig genommen! Strohtrocken!«
»Stümperei, in der Tat!« Auch der Dürre mit der Filzkappe gab sein Urteil ab. »Der Hussit hat ja nicht mal schreien können! Die haben hier doch keine Ahnung vom Brennen! Bei uns in Franken, der Abt in Fulda, oho, der hat Ahnung! Der hat die Scheiterhaufen selbst überwacht. Der hat das Holz so aufschichten lassen, dass es denen zuerst die Beine bis zu den Knien geröstet hat, dann höher ging bis zu den Eiern und dann . . .«
»Ein Dieb!«, rief mit dünner Stimme eine Frau aus der Menge. »Ein Dieb! Haltet den Dieb!«
Irgendwo inmitten des Pöbels weinte ein Kind, irgendjemand spielte auf einer Schalmei, jemand fluchte lästerlich, einer lachte, es war ein nervöses, idiotisches Lachen.
Die Scheiterhaufen standen in Flammen und sandten heiße Luftschwaden herüber. Der Wind trug den Reisenden den widerlichen, stickigen, süßlichen Gestank von verbranntem Fleisch zu. Reynevan barg seine Nase im Ärmel. Pfarrer Granciszek hustete. Dorothea würgte, Urban Horn spuckte aus und krümmte sich heftig. Aber Rabbi Hiram überraschte alle. Der Jude beugte sich aus dem Wagen und übergab sich heftig, traf den Pilger, den Ziegelbrenner, die städtische Klatschbase, den Franken und alle anderen, die in der Nähe standen. Sofort wurde es ringsherum licht um sie.
»Verzeiht bitte«, stieß der Rabbi zwischen den Brechwellen hervor. »Das ist keine politische Demonstration. Nur ein ganz gewöhnliches Gekotze . . .«
Kanonikus Otto Beess, der Präpositus der Kirche St. Johannes der Täufer, setzte sich bequem hin, ordnete sein Pileolus und betrachtete den in seinem Pokal schwappenden klaren Wein.
»Ich möchte sehr darum bitten«, sagte er wie üblich mit bissiger Stimme, »darauf zu achten, dass die Brandstelle ordentlich gesäubert und umgegraben wird. Alle Überreste, auch die kleinsten, sollen aufgelesen und in den Fluss geworfen werden. Denn die Fälle, dass verkohlte Knochen aufgesammelt und daraus Reliquien gemacht werden, häufen sich. Ich bitte dieverehrten Ratsherren, dafür zu sorgen. Und die Brüder, diese Sorgfalt zu überwachen.«
Die in der Schlossstube versammelten Ratsherren von Strehlen verneigten sich schweigend, die Dominikaner und die
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