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Narrenturm - Roman

Narrenturm - Roman

Titel: Narrenturm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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die Römer!«
    Otto Beess schwieg lange und schaute den Rabbi aus halbgeschlossenen Augen an.
    »Jaaa«, sagte er schließlich. »Aber weißt du, Freund Hiram, dass sie dich für eine solche Rede einsperren können? Ich spreche natürlich von der weltlichen Gerichtsbarkeit. Die Kirche ist verständnisvoll, aber das
brachium saeculare
kann sehr langsein, wenn es um Lästerung geht. Nein, nein, sag nichts, Freund Hiram. Ich werde reden.«
    Der Jude verneigte sich. Der Kanonikus bewegte sich nicht, er saß reglos in seinem Sessel.
    »Der Heilige Vater Martin, der fünfte dieses Namens, hat, dem Vorbild seiner erleuchteten Vorgänger folgend, zu erklären geruht, dass auch die Juden, entgegen dem Anschein, nach dem Bilde Gottes geformt sind und dass ein Teil von ihnen, wenn auch nur ein kleiner, der Erlösung teilhaftig wird. Unstatthaft ist es deshalb, sie zu diskriminieren, sie zu verfolgen, zu demütigen und zu unterdrücken, wozu auch zählt, sie zwangsweise zu taufen. Du zweifelst doch nicht etwa daran, Freund Hiram, dass der Wille des Papstes für jeden Geistlichen ein Befehl ist. Oder zweifelst du etwa daran?«
    »Wie kann ich daran zweifeln? Das ist wohl bereits der zehnte Herr Papst, der davon spricht . . . Also muss es wohl wahr sein, ohne Zweifel . . .«
    »Wenn du nicht zweifelst«, unterbrach ihn der Kanonikus und tat, als hätte er den Spott nicht bemerkt, »so musst du verstehen, dass es eine Verleumdung ist, die Geistlichen dafür anzuklagen, dass sie den Hass auf die Israeliten schüren. Und ich füge hinzu: eine schwere Verleumdung.«
    Der Jude verbeugte sich schweigend.
    »Die Sache ist klar«, Otto Beess zwinkerte leicht, »weltliche Leute wissen von den päpstlichen Befehlen wenig oder überhaupt nichts. Auch in der Heiligen Schrift kennen sie sich nicht so aus. Denn sie sind, wie mir erst kürzlich jemand gesagt hat,
pro maiori parte illiterati et idiotae.
«
    Rabbi Hiram gab keinen Mucks von sich.
    »Dein israelitischer Stamm hingegen, Rabbi, fuhr der Kanonikus fort, liefert mit Gefallen und mit Fleiß dem Pöbel Vorwände. Da ruft ihr eine Pestepidemie hervor, vergiftet Brunnen, quält ein unschuldiges Christenmädchen, träufelt Kinderblut auf die Mazze. Stehlt und entweiht Hostien. Treibt schändlichen Wucher, und dem Schuldner, der eure räuberischenProzente nicht zahlen kann, reißt ihr das Fleisch in Stücken heraus. Und gebt euch anderen Scheußlichkeiten hin. Wie ich annehme.«
    »Was also soll man tun, ehrwürdiger Herr Pfarrer, frage ich?«, wagte nach längerem, spannungsgeladenem Schweigen Hiram ben Elieser zu fragen. »Was soll man tun, damit all diese Dinge nicht geschehen? Will sagen, das Vergiften von Brunnen, das Quälen von kleinen Mädchen, das Blut-auf-die-Hostien-Gießen? Was, frage ich, tut Not?«
    Otto Beess schwieg lange.
    »In Kürze«, sagte er schließlich, »wird eine einmalige und alle betreffende Sondersteuer erhoben. Für einen Kreuzzug gegen die Hussiten. Jeder Jude muss einen Gulden zahlen. Die Gemeinde Brieg muss darüber hinaus, zahlt freiwillig darüber hinaus . . . tausend Gulden. Und zweihundertfünfzig Bußgeld.«
    Des Juden Bart nickte. Er versuchte nicht, zu feilschen.
    »Dem allgemeinen Wohl«, merkte der Kanonikus mit tonloser Stimme an, »dienen diese Gelder. Die böhmischen Ketzer bedrohen uns alle. Natürlich besonders uns, die rechtgläubigen Katholiken, aber auch ihr Israeliten habt keinerlei Veranlassung, die Hussiten zu lieben. Ganz im Gegenteil, würde ich sagen. Es genügt wohl, den März zweiundzwanzig zu erwähnen, das blutige Pogrom in der Prager Altstadt. Das spätere Abschlachten der Juden in Komotau, in Kuttenberg und in Písek. So, Hiram, gibt es wenigstens die Gelegenheit, durch Abgaben der Rache teilhaftig zu werden.«
    »Mein ist die Rache«, antwortete nach einer Weile Hiram ben Elieser. »So spricht der Herr. Adonai. Vergelte nie Böses mit Bösem, spricht der Herr. Und unser Herr, wie schon der Prophet Jesaja sagt, ist groß in seiner Güte.«
    »Außerdem«, fügte der Rabbi leise hinzu, als er sah, dass der Kanonikus schweigend seine Hand an die Stirn legte, »die Hussiten morden die Juden erst seit etwa sechs Jahren. Was sind sechs gegen tausend?«
    Otto Beess hob den Kopf. Seine Augen waren kalt wie Eis.
    »Du wirst ein schlechtes Ende nehmen, Freund Hiram!«, presste er zwischen den Zähnen hervor. »Ich habe Angst um dich. Gehe hin in Frieden.«
    »Nun«, sagte er, als sich die Tür hinter dem Juden geschlossen hatte, »ist

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