Narrenturm - Roman
Minoriten beugten die Tonsuren. Sowohl die einen als auch die anderen wussten, dass der Kanonikus zu bitten und nicht zu befehlen pflegte. Sie wussten aber auch genau, dass der Unterschied lediglich in der Wahl der Worte bestand.
»Die Brüder Prädikanten bitte ich darum«, fuhr Otto Beess fort, »dass sie weiterhin, den Empfehlungen der Bulle
Inter cunctas
entsprechend, wachsam alle Anzeichen von Ketzerei und das Wirken taboritischer Emissäre verfolgen. Und auch die noch so geringen und anscheinend bedeutungslosesten Dinge melden, die mit einem solchen Wirken verbunden sein können. Ich rechne hier auf die Hilfe des weltlichen Armes. Darum bitte ich Euch, edler Herr Heinrich.«
Heinrich Reideburg neigte das Haupt, aber nur ein wenig, anschließend richtete er seine mächtige Gestalt in dem mit einem Schachmuster verzierten Waffenrock wieder auf. Der Starost von Strehlen verhehlte seinen Stolz und seine Hoffart nicht, er unternahm nicht einmal den Versuch, demütig und unterwürfig zu wirken. Es war deutlich zu sehen, dass er die Visitation seitens der kirchlichen Hierarchie duldete, weil er musste, im Übrigen aber nur darauf wartete, dass der Kanonikus sein Gebiet endlich wieder verließ.
Otto Beess wusste das.
»Ich bitte auch darum, Herr Starost Heinrich«, fügte er hinzu, »dass größere Anstrengungen als bisher unternommen werden, den Mord an Herrn Albrecht von Bart bei Karzen aufzuklären. Dem Kapitel ist sehr daran gelegen, die Täter dieses Verbrechens zu überführen. Herr von Bart war trotz einer gewissen Schroffheit und kontroverser Ansichten ein edler Mensch,
vir rarae dexteritatis,
ein großer Wohltäter der Zisterzienserklöster von Heinrichau und Grüssau. Wir fordern, dass seine Mörder die gerechte Strafe ereilt. Natürlichgeht es uns hierbei um die wahren Täter. Das Kapitel begnügt sich nicht damit, dem Spatzen in der Hand die Schuld zuzuweisen. Denn wir glauben nicht daran, dass Herr Bart durch die Hand der heute verbrannten Wyclifiten gefallen ist.«
»Jene Hussiten«, Reideburg räusperte sich, »mögen vielleicht Mittäter gehabt haben . . .«
»Das schließen wir nicht aus.« Der Kanonikus durchbohrte den Ritter mit seinem Blick. »Wir schließen überhaupt nichts aus. Verleiht der Untersuchung mehr Schwung, Herr Heinrich. Bittet, wenn nötig, den Schweidnitzer Starosten, Herrn Albrecht von Kolditz, um Mithilfe. Damit es endlich Resultate gibt.«
Heinrich Reideburg verbeugte sich steif. Der Kanonikus verneigte sich ebenfalls, aber nur ganz leicht.
»Ich danke Euch, edler Ritter«, sagte er mit einer Stimme, die klang, als öffne man ein rostiges Friedhofstor. »Ich will Euch nicht länger aufhalten. Den Ratsherren und den frommen Brüdern danke ich ebenfalls. Ich will Euch nicht länger von den Pflichten abhalten, die Ihr sicher in Mengen habt.«
Der Starost, die Ratsherren und die Mönche gingen, mit ihren Schnabelschuhen und Sandalen schurrend, hinaus.
»Die Herren Kleriker und Diakone«, fügte der Kanonikus der Breslauer Kathedrale nach einer Weile hinzu, »denken, wie ich vermute, auch an ihre Pflichten. Geht ihnen also bitte unverzüglich nach. Der Bruder Sekretär und der Beichtiger bleiben. Und auch . . .«
Otto Beess hob den Kopf und blickte Reynevan durchdringend an.
»Auch du bleibst, mein Junge. Ich habe mit dir zu sprechen. Aber zuerst will ich die Bittsteller hören. Bittet den Propst von Ohlau herein.«
Pfarrer Granciszeks Gesicht wechselte bei seinem Eintritt die Farbe, er wurde abwechselnd rot und blass. Er kniete sofort nieder. Der Kanonikus befahl ihm nicht, sich zu erheben.
»Dein Problem, Pater Philip«, begann er in bissigem Ton, »ist der Mangel an Achtung und Vertrauen gegenüber deinen Vorgesetzten. Individualität und eine eigene Meinung sind wohl manchmal anerkennens- und lobenswerter als blindes, schafsköpfiges Vertrauen. Aber es gibt Dinge, bei denen die Obrigkeit absolut Recht hat und unfehlbar ist. Wie zum Beispiel unser Papst Martin V. im Streit mit den Konziliaristen, den Anhängern Gersons und verschiedenen Polen: den Włodko wicern , den Wyszanern und den Łaskarianern, die jede Entscheidung des Heiligen Vaters diskutieren wollen. Und sie nach eigenem Gutdünken interpretieren. Aber so geht das nicht, so nicht!
Roma locuta, causa finita.
Deshalb, lieber Pater Philip, wenn dir die kirchliche Obrigkeit sagt, was du predigen sollst, musst du gehorsam sein. Selbst wenn dein Ich protestiert und schreit, musst du gehorsam sein. Denn es geht
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