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Narrenturm - Roman

Narrenturm - Roman

Titel: Narrenturm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Dreck. Der zweite saß da und schrie. Er hatte den Mund weit aufgerissen und schrie und heulte mit dünnem Stimmchen und in allen Tonarten, unaufhörlich, wie ein hungriger Säugling. Seinen Dolch hielt er immer noch in der Hand, aber das Messer seines Kumpanen steckte in seinem Schenkel, tief, bis zum vergoldeten Heft.
    Scharley blickte zum Himmel und breitete die Hände aus, als wollte er damit ausdrücken: Hab ich es nicht gesagt? Er zog sein lächerliches, viel zu enges Wams aus, trat zu dem Zähnespucker. Geschickt fasste er dessen Ellbogen, riss daran, fasste die Ärmel, und mit ein paar präzisen Fußtritten stieß er den Gecken aus seinem gesteppten Wams. Dann streifte er es sich über.
    »Nicht das Gewand macht den Mönch«, sagte er langsam und genüsslich, »sondern die menschliche Würde. Nur ein gut gekleideter Mensch fühlt sich wirklich würdig.«
    Dann bückte er sich und riss dem Gecken die eingenähte Geldbörse vom Gürtel.
    »Eine reiche Stadt, dieses Striegau«, meinte er. »Eine reiche Stadt. Ihr seht selbst, das Geld liegt auf der Straße.«
    »An Eurer Stelle . . .«, empfahl mit etwas zitternder Stimme der Besitzes des Bierschanks, »an Eurer Stelle würde ich zusehen, dass ich fortkomme, Herr. Das sind reiche Kaufherren, Gäste des wohlgebornen Herrn Guncelin von Laasan. Ihnen ist recht geschehen für den Krawall, dafür, dass sie mit Dolchen . . . Aber entfernt Euch besser, denn Herr von Laasan . . .«
    ». . . herrscht in der Stadt, ergänzte Scharley und nahm auch dem dritten Gecken die Geldbörse ab. Danke für das Bier, guter Mann. Lass uns gehen, Reynevan.«
    Sie gingen. Der Geck mit dem Messer im Schenkel verabschiedete sie mit dem verzweifelten, anhaltenden Greinen eines Säuglings: »Uaa   – uaa! Uaa   – uaa! Uaa   – uaa! Uaa   – uaa!«

Zehntes Kapitel
    in dem sowohl Reynevan wie auch der Leser Gelegenheit haben, Scharley besser kennen zu lernen   – solcherart Gelegenheit bietet die gemeinsame Wanderschaft und sie begleitende Vorkommnisse unterschiedlicher Natur. Am Ende aber erscheinen drei Hexen, absolut klassisch, absolut kanonisch und absolut anachronistisch.
    N achdem er es sich auf einem bemoosten Baumstumpf bequem gemacht hatte, betrachtete Scharley die Geldstücke, die er aus den Geldbörsen in seine Kappe schüttete. Er verhehlte seine Enttäuschung nicht.
    »Aus Kleidung und Auftreten schließend«, murrte er, »würdest du meinen, es seien begüterte Neureiche. Aber in den Geldsäckeln, sieh selbst, Junge, was für ein Elend. Und was für ein Geramsch! Zwei Ecu, ein paar beschnittene Pariser Soldi, vierzehn Groschen, Halbgroschen, Magdeburger Pfennige, preußische Schott und Schillinge, Denare und Heller, dünner als eine Hostie, und noch anderer Scheiß, den ich nicht mal erkennen kann, womöglich Falschgeld. Der Teufel soll mich holen, wenn diese Geldsäckel mit ihren Silberfäden und der Perlenstickerei nicht mehr wert sind. Aber Geldsäckel sind kein Bares, wo mache ich die jetzt zu Geld? Die Münzen hier reichen nicht mal für einen elenden Gaul, und ich brauche, verdammt noch mal, ein Pferd. Die Pest soll sie holen, die Kleider dieser Stutzer waren auch mehr wert. Ich hätte sie nackt ausziehen sollen.«
    »Dann«, bemerkte Reynevan einigermaßen knapp, »hätte uns Herr von Laasen nicht zwölf, sondern wenigstens hundert Leute hinterhergeschickt. Und nicht nur auf einer Landstraße, sondern auf allen.«
    »Er hat aber nur zwölf geschickt, also beklag dich nicht.«
    Und tatsächlich, nur eine halbe Stunde nachdem beide Striegau durch das Jauerer Tor verlassen hatten, war ein Dutzend Reiter in den Farben Guncelin von Laasans, des edlen Herrn des Striegauer Schlosses und Herrn über der Stadt, aus selbigem Tor gesprengt und die Landstraße entlanggeprescht. Scharley aber, der dadurch einmal mehr seine Schläue bewies, hatte Reynevan kurz hinter dem Tor geheißen, in den Wald abzubiegen und sich in den Büschen zu verbergen. Jetzt wartete er, um sich davon zu überzeugen, dass die Verfolger nicht zurückkehrten.
    Reynevan seufzte und setzte sich neben Scharley.
    »Das Ergebnis unserer Bekanntschaft ist folgendes«, stellte er fest, »wenn mich heute Morgen nur die Brüder Sterz und die von ihnen bezahlten Banditen gejagt haben, so sind mir jetzt gegen Abend auch noch von Laasan und Striegauer Bewaffnete auf den Fersen. Ich wage gar nicht daran zu denken, wie es weitergehen soll.«
    »Du hast doch um Hilfe gerufen!« Der Demerit zuckte mit den Achseln.

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