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Narrenturm - Roman

Narrenturm - Roman

Titel: Narrenturm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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ähnlich aus   – mit phantasievollen Fezen auf den von der Brennschere gelockten Haaren und in wattierten Wämsern, so dicht gesteppt, dass ihre Ärmel wie große Raupen wirkten. Sie trugen auch enge moderne Pariser Hosen, die man
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nannte und deren Beine Kontrastfarben aufwiesen. Jeder von ihnen hielt einen gedrechselten Stock mit Knauf in der Hand.
    »Jesus Christus und alle Heiligen!« Der Stutzer ließ seinen Stock wie ein Mühlrad kreisen. »Was für Rüpel treiben sich in diesem Schlesien herum, was für säuische Wilde! Ob denen wohl je einer Kultur beibringt?«
    »Dafür werden wir wohl schon selbst sorgen müssen«, sagte der Zweite mit dem gleichen galizischen Akzent, »und aus ihnen Europäer machen.«
    »Richtig«, echote der dritte Modegeck in hellblauen und roten
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, »zu Beginn der Lektion werden wir diesem Tölpel auf europäische Art das Fell gerben. Wohlan, Ihr Herren, die Stöcke geschwungen! Und das mit Fleiß!«
    »Holla!«, schrie der Eigentümer des Bierstandes. »Keinen Krawall, Ihr Herren Kaufleute! Sonst rufe ich die Stadtwache!«
    »Halt die Schnauze, schlesischer Blödmann, sonst kriegst du auch noch was ab!«
    Reynevan wollte aufspringen, aber er schaffte es nicht. Der Stock des Ersten traf ihn an der Schulter, der des Zweiten mit einem scharfen Hieb auf dem Rücken, der Dritte zielte auf die Pobacken. Weitere Hiebe abzuwarten, hielt er nicht für geboten.
    »Zu Hilfe!«, schrie er. »Scharley! Zu Hilfe!«
    Scharley, der dem Zwischenfall mit mäßigem Interesse zugesehen hatte, stellte den Humpen ab und kam gemächlichen Schrittes näher.
    »Schluss mit den Spielchen!«
    Die Modegecken blickten sich um   – und wie auf Kommando brüllten sie vor Lachen. In der Tat, selbst Reynevan musste zugeben, dass der Demerit in seinem kurzen, scheckigen Gewand nicht eben vornehm aussah.
    »Ach du lieber Gott«, lachte der erste Geck, »anscheinend ein Frommer. Was für lustige Gestalten man doch an diesem Ende der Welt antrifft!«
    »Das muss der Narr dieses Ortes sein«, entschied der Zweite. »Man sieht’s an seiner wunderlichen Kleidung.«
    »Nicht das Gewand macht den Mönch«, sagte Scharley kühl. »Geht gefälligst weg von hier, und zwar schnell.«
    »Waaas?«
    »Die Herren wollen sich gefälligst hinwegbemühen«, wiederholte Scharley, »das bedeutet, geht ja weit weg von hier. Es muss nicht gleich Paris sein. Das andere Ende der Stadt genügt.«
    »Waaas?«
    »Die Herren«, wiederholte Scharley so langsam, geduldig und eindringlich, als spräche er mit Kindern, »die Herren sind so freundlich, sich von hier zu entfernen. Und sich mit etwas zu befassen, das ihnen geläufig ist. Sodomie, zum Beispiel. Andernfalls werden die Herren nämlich verdroschen. Und das gründlich. Und noch bevor einer der Herren
Credo in unum Deum, Patrem omnipotentem
sagen kann.«
    Der erste Geck hob den Stock. Scharley wich dem Schlag geschickt aus, packte den Stock, drehte ihn, der Geck vollführte einen Purzelbaum und platschte in den Dreck. Mit dem Stock zog der Demerit sodann dem zweiten Stutzer eins über den Schädel und schickte ihn hinter die Biertheke, mit einem weiteren Hieb, schnell wie ein Gedanke, klopfte er dem Dritten auf die Finger. Der Erste hatte sich inzwischen wieder erhoben und warf sich auf Scharley, brüllend wie ein verwundeter Auerochse. Der Demerit begegnete, wie es schien ohne große Anstrengung, dem Angriff mit einem Stoß, der den Gecken zusammenknicken ließ. Scharley hieb ihm mit dem Ellenbogen gewaltig eins in die Nieren und versetzte dem Fallenden wie unabsichtlich einen Fußtritt hinters Ohr. Der Getretene krümmte sich wie ein Wurm und stand nicht mehr auf.
    Die beiden anderen schauten sich an und griffen gleichzeitig zu ihren Dolchen. Scharley drohte ihnen mit dem Finger.
    »Ich rate es euch nicht«, sagte er. »An Messern kann man sich schneiden!«
    Die Stutzer beachteten seine Drohung nicht.
    Reynevan glaubte, alles aufmerksam verfolgt zu haben. Irgendetwas musste er jedoch nicht mitbekommen haben, denn er verstand, als es geschehen war, nicht, wie es dazu gekommen war. Im Gegensatz zu den auf ihn einstürmenden und mit den Armen wie Mühlenflügel kreisenden Gecken schien Scharley fast unbeweglich, die Bewegungen, die er ausführte, als die beiden bei ihm anlangten, waren so rasch, dass das Auge sie gar nicht wahrnahm. Einer der Gecken fiel auf die Knie, senkte den Kopf fast bis zum Boden, röchelte und spuckte, einen nach dem anderen, seine Zähne in den

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