Narrenturm - Roman
Reaktion nun, als von Einzelheiten die Rede war.
»Ich möchte nicht«, erklärte er, während er mit einem Stock im Feuer herumstocherte, »dass Unklarheiten und Unaufrichtigkeit den netten Beginn unserer Bekanntschaft trüben. Deshalb sage ich dir ehrlich und ohne Umschweife, Reinmar, dein Plan ist gerade so viel wert, einem Hund in den Arsch gesteckt zu werden.«
»Was?«
»Einem Hund in den Arsch«, wiederholte Scharley salbungsvoll wie ein Prediger. »Dazu reicht dein Plan, den du mir eben geschildert hast. Da du ein gescheiter und gebildeter Jüngling bist, kannst du nicht umhin, dies selbst einzusehen. Du kannst auch nicht darauf zählen, dass ich mich an so etwas beteilige.«
»Ich und Kanonikus Beess haben dich aus der Gefangenschaft geholt.« Obwohl er innerlich vor Wut kochte, hatte Reynevan seine Stimme unter Gewalt. »Nicht aus Liebe, keineswegs, sondern einzig und allein deshalb, damit du dich beteiligst. Als gescheiter Demerit hast du das dort im Kloster sehr wohl gewusst. Und erst jetzt teilst du mir mit, dass du nicht mitmachen willst. Also sage auch ich dir ehrlich und ohne Umschweife: Geh zurück ins Gefängnis zu den Karmelitern!«
»Ich bin immer noch im Gefängnis bei den Karmelitern. Wenigstens offiziell. Aber das verstehst du wohl nicht.«
»Ich verstehe es.« Reynevan fiel das Gespräch mit dem Heringsschaffner der Karmeliter wieder ein. »Ich verstehe auch, dass dir an deiner Bußzeit liegt, denn nach der Buße:
nullum crimen,
du wirst in Gnade und mit allen Privilegien wieder aufgenommen. Aber ich weiß auch, dass Kanonikus Otto dich in der Hand hat. Es reicht aus, wenn er verkündet, du seiest von den Karmelitern geflohen, und du bist ein Verstoßener bis zum Ende deines Lebens. Keine Rückkehr mehr zu deinem Orden und ins warme Kloster. So ganz unter uns, was ist das eigentlich für ein Orden und was für ein hübsches Klösterchen? Kann man das wohl erfahren?«
»Kann man nicht. Im Großen und Ganzen, lieber Reinmar,hast du die Sache richtig erfasst. Tatsächlich hat man mich von den Demeriten inoffiziell entlassen, meine Bußzeit dauert noch immer an. Und es ist auch wahr, dass sie dank Kanonikus Beess in Freiheit verläuft, wofür dem Kanonikus Ruhm gebührt, denn ich liebe die Freiheit. Warum aber sollte der gottesfürchtige Kanonikus mir wieder wegnehmen, was er mir gewährt hat? Ich tue doch nur, wozu er mich verpflichtet hat.«
Reynevan öffnete den Mund, aber Scharley ließ ihn erst gar nicht zu Wort kommen . . .
»Deine Erzählung von Liebe und Verbrechen, obwohl sie sehr mitreißend und eines Chrétien de Troyes wahrlich würdig ist, hat mich nicht hinzureißen vermocht. Du wirst mir doch wohl nicht einreden wollen, mein Junge, dass Kanonikus Otto Beess mich dir als Helfer empfohlen hat, um bedrängte Frauen zu befreien und dein Verbündeter in einer Familienfehde zu sein. Ich kenne den Kanonikus. Er ist ein kluger Mann. Er hat dich zu mir geschickt, damit ich dich rette. Und nicht, damit wir beide die Häupter unter die Axtschneide legen. Also tue ich das, was der Kanonikus von mir erwartet. Ich rette dich vor den Verfolgern. Und geleite dich sicher nach Ungarn.«
»Ich verlasse Schlesien nicht ohne Adele. Und nicht, ohne meinen Bruder gerächt zu haben. Ich will nicht verhehlen, dass ich Hilfe brauche, dass ich darauf vertraut habe. Auf dich. Aber wenn nicht, dann nicht. Dann werde ich mir selbst helfen. Du aber tu nach deinem Willen. Geh nach Ungarn, nach Russland, nach Palästina, wohin du willst. Erfreue dich deiner Freiheit, die du so liebst.«
»Danke für die Vorschläge«, erwiderte Scharley ungerührt. »Aber ich mache lieber keinen Gebrauch davon.«
»Ach! Warum denn nicht?«
»Es ist doch ganz klar, dass du allein nicht zurechtkommst. Du verlierst den Kopf. Und dann wird der Kanonikus meinen fordern.«
»Ha! Wenn dir also an deinem Kopf so viel liegt, hast du keine Wahl.«
Scharley schwieg lange. Reynevan hatte ihn aber inzwischen schon ein bisschen kennen gelernt und rechnete nicht damit, dass die Diskussion damit beendet war.
»Was deinen Bruder angeht«, erklärte der frühere Gefängnisinsasse von Karmel schließlich, »bleibe ich fest. Schon allein deshalb, weil du nicht mit Sicherheit weißt, wer ihn ermordet hat. Unterbrich mich nicht! Eine Familienfehde ist eine ernste Angelegenheit. Und du, wie du zugeben musst, hast keine Zeugen, keine Beweise, das Einzige, was du hast, sind Vermutungen und Annahmen. Unterbrich mich nicht, habe ich dich
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