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Narrenturm - Roman

Narrenturm - Roman

Titel: Narrenturm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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»Und ich habe mich zu Obhut und Schutz verpflichtet. Ich habe es dir schon früher gesagt, aber du hast es nicht wahrhaben wollen, du ungläubiger Thomas. Hat dich der augenfällige Beweis nun überzeugt? Oder musst du erst noch die Wunden berühren?«
    »Wenn die Wachen früher gekommen wären«, sagte Reynevan grollend, »oder die Kumpanen der Verprügelten, dann gäb’s wohl tatsächlich was zu berühren. Und um die Zeit würde ich schon hängen. Und du, mein Verteidiger und Beschützer, hingest gewiss daneben. Am Nachbarstrick.«
    Scharley antwortete nicht, er zog nur erneut die Schultern hoch und breitete die Hände aus.
    Reynevan musste unwillkürlich lächeln. Er hatte noch immer kein Vertrauen zu dem seltsamen Demeriten gefasst und verstand auch immer noch nicht, woher selbiges bei Kanonikus Otto Beess herrührte. Adele war er auch noch immer nichtnäher gekommen, im Gegenteil, er schien sich noch weiter von ihr zu entfernen. In die Liste der Ortschaften, in denen er sich nicht mehr blicken lassen konnte, wurde nun auch Striegau aufgenommen. Aber wie auch immer, Scharley imponierte ihm ein bisschen. Reynevan sah bereits vor seinem geistigen Auge, wie Wolfher Sterz auf die Knie sank und einen Zahn nach dem anderen ausspuckte. Wie Morold, der in Oels Adele an den Haaren hinter sich hergeschleift hatte, dasaß und Auaa-auaa schrie.
    »Wo hast du gelernt, dich so zu schlagen? Im Kloster?«
    »Im Kloster«, bestätigte Scharley gelassen. »Glaub mir, mein Junge, die Klöster sind voller Lehrer. Fast jeder, der dort weilt, kann etwas. Man braucht nur Lust zum Lernen.«
    »Bei den Demeriten in Karmel war es ähnlich?«
    »Noch besser, im Hinblick aufs Lernen, natürlich. Wir hatten viel Zeit, mit der man nichts anzufangen wusste. Besonders dann, wenn man Bruder Barnabas nicht mochte. Bruder Barnabas, ein Zisterzienser, hübsch und weich wie ein Mädchen, war aber kein Mädchen, und diese Tatsache hat einige von uns etwas gestört.«
    »Erspar mir die Einzelheiten, bitte. Was machen wir jetzt?«
    »Dem Beispiel der Haimonssöhne folgend«, Scharley stand auf und streckte sich, »besteigen wir beide deinen braunen Bayard. Und reiten nach Süden, Richtung Schweidnitz. Aber auf Abwegen.«
    »Weshalb?«
    »Obwohl wir drei Geldsäckel erbeutet haben, leiden wir immer noch an einem Mangel von
argentum et aurum.
In Schweidnitz finden wir dagegen ein
antidotum.
«
    »Ich meinte, weshalb auf Abwegen?«
    »Du bist auf der Schweidnitzer Straße nach Striegau gekommen. Es besteht die große Wahrscheinlichkeit, dass wir dort, Auge in Auge gegenüberstehend, auf jene treffen, die hinter dir her sind.«
    »Die habe ich abgelenkt. Ich bin mir sicher . . .«
    »Die rechnen auch mit dieser Sicherheit«, unterbrach ihn der Demerit. »Aus deinen Berichten ging hervor, dass du es mit Professionellen zu tun hast. Die lassen sich nicht so leicht ablenken. Auf geht’s, Reynevan! Es wäre klug, sich so weit es geht von Striegau und Herrn von Laasan zu entfernen, bevor die Nacht hereinbricht.«
    »Da stimme ich dir zu. Das wäre klug.«
     
    Der Abend traf sie in den Wäldern an, die Dämmerung erreichte sie in der Nähe einer Wohnstätte, Rauch kroch über die Hüttendächer und verlor sich in der Umgebung, vermischt mit dem Nebel, der aus den Wiesen aufstieg. Anfangs hatten sie die Absicht, in einem in der Nähe der Hütten befindlichen Heuschober zu übernachten, warm eingebettet ins Heu, aber die Hunde hatten sie gewittert und so wütend gebellt, dass sie es aufgaben. Fast blind im Dunkel einhertappend, fanden sie schließlich am Waldrand eine halbverfallene Schäferhütte.
     
    Im Wald raschelte, knarrte, piepste und knurrte es ständig, hier und da leuchteten auch immer wieder Augen wie bleiche Lichter auf. Wahrscheinlich waren das Marder oder Dachse, aber Reynevan warf zur Sicherheit seine letzten Stengel Eisenhut vom Wammelwitzer Friedhof ins Feuer und fügte den noch vor Einbruch der Nacht gepflückten Mauerpfeffer hinzu, wobei er einen Bannspruch vor sich hin murmelte. Er wusste allerdings nicht recht, ob es der passende Bannspruch war und ob er die Worte richtig behalten hatte.
    Scharley sah ihm neugierig zu.
    »Sprich weiter«, forderte er ihn auf. »Erzähle, Reinmar.«
    Von all seinen Sorgen hatte Reynevan Scharley schon während der »Beichte« bei den Karmelitern erzählt, dort hatte er auch seine Plänen und Absichten im Wesentlichen kundgetan. Scharley hatte das seinerzeit nicht kommentiert. Umso unerwarteter war seine

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