Narrenturm - Roman
gebeten! Hör zu. Lass uns weiterreiten, abwarten, Informationen sammeln, Beweise zusammentragen und Mittel besorgen. Dann rufen wir die Partie aus. Ich helfe dir. Wenn du auf mich hörst, verspreche ich dir, wirst du die Rache so genießen, wie man sie genießen soll. Nämlich kalt.«
»Aber . . .«
»Ich bin noch nicht fertig. Was deine Auserwählte, Adele, anbelangt, so ist dein Plan nach wie vor für den Hundearsch, aber was soll’s, wenn wir über Münsterberg reiten, machen wir keinen großen Umweg. Und in Münsterberg wird sich vieles klären.«
»Was willst du damit sagen? Adele liebt mich!«
»Hat irgendjemand etwas anderes behauptet?«
»Scharley?«
»Ich höre.«
»Warum bestehen der Kanonikus und du auf Ungarn?«
»Weil es weit entfernt ist.«
»Warum nicht Böhmen? Das ist auch weit. Und ich kenne Prag, dort habe ich Bekannte . . .«
»Sag mal, gehst du denn nicht in die Kirche? Hörst du keine Predigten? Prag und ganz Böhmen sind jetzt ein einziger brodelnder Teerkessel, an dem man sich scheußlich verbrennen kann. Und in einiger Zeit kann es noch viel heiterer werden. Die Kühnheit der Hussiten hat alle Grenzen überschritten, eine derartfreche Häresie ertragen weder der Papst noch der Luxemburger, weder der Kurfürst von Sachsen und Markgraf von Meißen noch der Landgraf von Thüringen, ja ganz Europa ist die hussitische Abtrünnigkeit ein Dorn im Auge. Es dauert gar nicht lange, und Europa geht auf einen Kreuzzug nach Böhmen.«
»Es hat ja schon welche gegeben«, bemerkte Reynevan mit säuerlicher Miene, »es gab ja schon antihussitische Kreuzzüge. Ganz Europa ist doch schon nach Böhmen gezogen. Und hat ordentlich eins auf die Mütze bekommen. Wie sehr sie was abbekommen haben, hat mir erst kürzlich ein Augenzeuge berichtet.«
»Ein glaubwürdiger?«
»Ein Muster an Glaubwürdigkeit.«
»Na und? Sie haben etwas abgekriegt und die Lehren daraus gezogen. Jetzt bereiten sie sich besser vor. Ich wiederhole: Diese katholische Welt erträgt die Hussiten nicht.«
»Sie ertragen sie schon seit sieben Jahren. Weil sie es müssen.«
»Die Albigenser haben sich hundert Jahre gehalten. Und wo sind sie jetzt? Das ist nur eine Frage der Zeit, Reinmar. Böhmen wird im Blut schwimmen, wie das Languedoc im Blut der Katharer geschwommen ist. Und der Methode folgend, die sich im Languedoc bewährt hat, wird man auch in Böhmen alle hinmorden, und es bleibt Gott überlassen, die Unschuldigen und Rechtgläubigen herauszufinden. Deshalb reiten wir nicht nach Böhmen, sondern nach Ungarn. Dort können uns höchstens die Türken bedrohen. Ich ziehe die Türken den Kreuzfahrern vor. Wenn es ums Morden geht, können die Türken den Kreuzfahrern nicht das Wasser reichen.«
Der Wald war still, nichts raschelte und piepste mehr darin, entweder fürchteten die Wesenheiten den Bannspruch, oder, was wahrscheinlicher war, sie langweilten sich.
Zur Sicherheit warf Reynevan auch noch die restlichen Kräuter ins Feuer.
»Morgen, hoffe ich«, fragte er, »gelangen wir schon nach Schweidnitz?«
»Absolut.«
Scharley beugte sich über die Abdrücke und Spuren im Sand, betrachtete sie und fluchte vor sich hin. Reynevan führte das Pferd ins Gras neben dem Weg und schaute zur Sonne.
»Osten ist dort«, wagte er zu sagen. »Also müssen wir wohl dort entlangreiten . . .«
»Spiel hier nicht den Gelehrten«, schnitt ihm Scharley das Wort ab, »ich untersuche gerade die Spuren und versuche herauszufinden, wo der größte Verkehr verläuft. Und ich stelle fest, wir müssen . . . dort lang.«
Reynevan seufzte, denn Scharley hatte haargenau in dieselbe Richtung gewiesen wie er. Er zog das Pferd am Zügel, setzte sich hinter dem Demeriten in Bewegung und schritt auf dem eingeschlagenen Weg munter aus. Nach kurzer Zeit erreichten sie eine Weggabelung. Vier völlig gleich aussehende Wege führten in alle vier Himmelsrichtungen. Scharley brummte wütend und beugte sich erneut über die Hufspuren. Reynevan seufzte und begann, nach Kräutern Ausschau zu halten, denn es sah ganz danach aus, als ginge es nicht ohne ein magisches Gebinde.
In den Büschen raschelte es, das Pferd schnaubte, und Reynevan sprang hinzu.
Aus dem Gebüsch schälte sich, die Hosen hochziehend, ein Alter, ein klassischer Vertreter der örtlichen Folklore. Einer jener umherziehenden, bettelnden Alten, die einem zu Hunderten über den Weg liefen, vor Toren und Pforten bettelten, Almosen in den Nonnenklöstern erheischten und Essen in den
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