Narrenwinter
Puntigam war aufgesprungen. „Was höre ich da? Man schaffe Posaunenengel herbei, Champagner, Zigarren und lose Weiber!“
„Übertreib’s nicht. Es wird mühsam.“
„Ja, so wie du es angehst.“
„Ich kann nicht anders. Und ich habe auch gleich ein paar Bitten. Um gezielt weiter nachdenken zu können, sollte ich bald einige Gespräche in Hamburg führen.“
„Mit wem?“
„Mit Leuten, die für Marktforschung und Zielgruppenbetreuung zuständig sind. Mit jenen, die das Corporate Design bestimmen. Und mit den Verantwortlichen für die derzeitige Homepage. Ein kompetenter Mensch aus der Pressestelle wäre natürlich auch ganz gut.“
„Den Portier darf ich aussparen?“
„Ja. Und jetzt erzähle ich dir, zu welchen Ansätzen ich gekommen bin. Im Detail kannst du es dann nachlesen. Nach allen Informationen, die ich mir beschaffen konnte, ist Kappus & Schaukal für die meisten nicht die Gesamtheit der Redaktionen, Verlage, Agenturen und so weiter, sondern ein abstrakter Überbegriff, eine amorphe Geldvermehrungsmaschine. Liege ich sehr weit daneben?“
„Aber nein …“
„Wir brauchen demnach ein plausibles, für viele überzeugendes zentrales Prinzip, klar definiert und griffig formuliert. Ich unterstelle jetzt einfach einmal etwas, damit klar ist, was ich meine.
Wir verkaufen unsere Ideale. Wir kalkulieren unsere Visionen. Wir schreiben unsere Träume in Zahlen und Fakten fort
.“
„Wie bitte?“
„Ich spiele das gleich an konkreten Beispielen durch, Bruno. Nehmen wir an, eins der Ideale wäre Aufrichtigkeit. Für alle Medien im Haus müsste dann gelten: Keine Mogelpackungen, kein falsches Etikett, kein Opportunismus, keine publikumswirksam verbogene Wahrheit – und so weiter. Damit verdienen wir Geld, und zwar nachhaltiger als die zwielichtigen Taschenspieler. Schlecht? Kalkulierte Visionen … ein verhungerter Visionär nützt keinem was. Aber Kaufleute, die Visionäre achten und Visionäre, die manchmal sogar Kaufleute verstehen – so kann was daraus werden. Und was die Träume angeht: wir lassen sie eben nicht im Morgengrauen verblassen. Wir machen sie alltagstauglich. Bleibt die Frage, wie das alles funktionieren kann in einem Konzern mit seinen notwendigerweise vorgegebenen Strukturen und normierten Abläufen. Ich hab’s jetzt einmal so formuliert:
Unsere 1.897 Mitarbeiter tragen eine mentale und emotionale Uniform: Jeder von ihnen hat unverwechselbar individuell zu sein
. – Und so weiter eben, Bruno. Das Dokument hat etwa zwanzig Seiten, du bekommst es als E-Mail. Kann ich das Notebook noch behalten?“
„Nimm’s als Morgengabe, Daniel. Ich besorge mir ein neues. Und noch eine Frage: Nachdem du jetzt für die nächsten ein, zwei Jahre vorgearbeitet hast – wie willst du dir die ganze freie Zeit vertreiben?“
„Du machst Scherze. Ich hab noch nicht einmal richtig angefangen.“
„Beängstigend. Jetzt aber einmal im Ernst. Ich kenne meine Damen und Herren in der Geschäftsführung. Du solltest nicht den Eindruck erwecken, ungeprüfte Schnellschüsse abzugeben, auch wenn sie noch so profund sind. Ich werde ihnen deine Ideen in homöopathischen Dosen verabreichen, wenn du gestattest. Und du solltest nach diesem intellektuellen Bauchaufschwung erst einmal eine Lockerungsübung machen. Denk an dein Buch, Daniel! Wirf dich dem Fasching in die unkeuschen Arme. Ich werde dieweil in Hamburg deinen Claim abstecken und bis zur letzten Kugel verteidigen. Vielleicht komm ich dich besuchen, zwischendurch. Dann werde ich berichten, was sich so tut. Und unterschreibe den Vertrag nicht überstürzt. Dein Bruder soll ruhig prüfen, ob da und dort nicht doch was zu verbessern wäre. Wollen wir es so halten, Daniel?“
„Wie du meinst. Noch was. Du hast davon gesprochen, dass ich mir Mitarbeiter suchen könnte. Ich brauche nur einen: Henning Mertens.“
„Genialer Schwachsinn, Daniel! Der Mann ist weg, kaputt, fertig, ausgebrannt und abgefuckt. Wenn er überhaupt noch lebt.“
„Niemand kennt die Medienlandschaft besser. Keiner analysiert präziser. Und er ist der treffsicherste Kritiker, den es gibt.“
„Gab.“
„Versuchst du bitte herauszufinden, wie ich ihn erreichen kann?“
„Wenn du unbedingt einen Totengräber für deine junge Karriere brauchst: Bitte. Und darf ich jetzt abreisen?“
„Eingeschnappt, Bruno?“
Puntigam seufzte, warf Käfer einen schrägen Blick zu und verließ die Küche.
Käfer saß da, dachte nach und blickte auf, als Maria Schlömmer auf ihn zukam.
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