Narrenwinter
Zwanzig Jahre sind wir jetzt verheiratet.“
„Eine waschechte Ausseer Familie …“
„Aber gehen S’, Herr Käfer. Meine Frau kommt aus Ebensee. Loidl hat sie geheißen. Und Loidln gibts so viele da drüben, dass sie in der Saline nummeriert werden. In der ersten Zeit war sie in Aussee so fremd wie ein Mondkalb. Entschuldige, Christine. Dafür warst du das schönste, liebste und gscheiteste Mondkalb weit und breit, und das leichteste. Ich glaub, ein Spatz war schwerer also du, damals.“
Frau Köberl lachte. „So waren die Loidl-Dirndln schon immer. Kannst du dich erinnern, Sepp, dass ich mich anfangs nicht einmal zum Lewandofksy getraut hab, als Zugereiste?“
„Zuagroaste heißt das.“
„Der arme Herr Käfer soll ja auch was verstehen. Soll Sie mein Mann mit dem Auto nach Sarstein bringen?“
„Nein, danke. Ich habe Zeit und bin gerne zu Fuß unterwegs.“
„Dann bleiben Sie zum Mittagessen bei uns! Es gibt was Einfaches, Ausseerisches.“
Sepp Köberl blickte grinsend auf. „Eschbonkoh.“
„Wie bitte?“
„Eschbon sind Erdäpfel. Anscheinend eine Übersetzung von pommes de terre ins Ausseerische. Warum da allerdings Französisch ins Spiel gekommen ist, weiß der Teufel. Und dann gibt es ja auch noch die alte Bezeichnung Grundbirne. Ein Eschbonkoh, Erdäpfelkoch, ist jedenfalls eine schlichte Variante der Schweizer Rösti. Und dazu gibt’s eine Suppe aus altem Schwarzbrot und Sauerrahm. Na, Herr Käfer? Lust auf jede Menge Kalorien?“
„Jede Menge Lust.“
„Gut so.“ Köberl schaute zur Tür. „Wo ist eigentlich die Sieglinde?“
Seine Frau senkte den Blick. Dann hob sie den Kopf. „Wo wird sie denn sein?“
Beide schwiegen und fingen an zu essen. Nach einer Weile legte Sepp Köberl das Besteck hin und wandte sich Käfer zu. „Die Sieglinde ist die Tochter von meiner Frau und mein Sargnagel.“
Jetzt lächelte Frau Köberl, es war ein schmales, rasiermesserscharfes Lächeln. „Dafür magst sie aber ganz schön gern, Sepp.“
Köberl stand auf, ohne seine Mahlzeit beendet zu haben. „Ich geh jetzt weiter Schnee schaufeln.“
Seine Frau wartete, bis er nicht mehr zu sehen war. Dann legte sie ihre Hand auf Käfers Unterarm. „Vielleicht trifft es sich einmal und Sie kommen, wenn der Sepp grad nicht da ist.“
„Und wie soll ich das verstehen?“
Wieder dieses Lächeln. „So nicht.“
Zögernd ging Käfer zu seinem Auto, das Köberl in eine kleine Ausbuchtung neben der Straße gestellt hatte. Die Motorhaube und das Dach waren eingedrückt, bei einem Vorderrad war der Schwungarm stark verbogen, das ganze Fahrzeug offensichtlich aus der Form geraten. Außerdem fehlte ein Kotflügel. Käfer ging zur Unfallstelle, sah ihn dort liegen und trug ihn zum Auto.
Also doch ein Totalschaden? Andererseits: Die Ente hatte ja noch einen altmodischen Rahmen, der sich vielleicht reparieren ließ, und gebrauchte Karosserieteile waren sicher zu bekommen. Wie auch immer, die Sache hätte schlimmer ausgehen können, viel schlimmer. Plötzlich spürte Käfer leichten Schwindel und fröstelte. Er atmete tief durch und ging ein paar Schritte hin und her, bis er sich besser fühlte. Er dachte voll Dankbarkeit an Sepp Köberl und seine Christine.
Nach und nach besserte sich Käfers Laune. Der Ärger über das unbefriedigende Gespräch mit Bruno Puntigam war unwichtig geworden, der materielle Schaden war auszuhalten und er hatte zwei Menschen kennen gelernt, die er bald zu seinen Freunden zählen wollte. Er folgte nun einem Fußweg, der jenseits der Traun nach Aussee führte.
Ein paar Augenblicke lang hatte Käfer helle Freude am Leben. Aber Sabine fehlte, fehlte so sehr wie noch nie. Bislang war er recht zufrieden damit gewesen, dass sie in seinem Junggesellenleben eine Art emotionaler Ausfallshaftung übernahm, auch ordnend oder helfend eingriff, wenn ihm die Probleme wieder einmal über den Kopf wuchsen. Worte wie Nähe und Vertrautheit hatten ihn eher beengt und beunruhigt. Und Sehnsucht hatte er stets als gefährliche Bewusstseinstrübung gefürchtet, die allenfalls in der weniger sentimentalen Erscheinungsform als sexuelle Begehrlichkeit zu ertragen und zu entsorgen war. Käfer war mit den bewährten Illusionen eines Männerlebens ganz gut zurechtgekommen in all den Jahren, hatte sich für einen meisterlichen Autofahrer und einen umwerfenden Liebhaber gehalten. Ersteres war mit dem heutigen Tage entschieden in Frage zu stellen, für Letzteres gab es allenfalls Indizienbeweise, die einer
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