Narrenwinter
war, ein neuer Aufprall, stechender Schmerz. Endlich, quälend langsam, das Kippen zur Traun hin, rasch fließendes Wasser zwischen Schnee und Eis. Das war’s dann also, dachte Käfer, arme Sabine. Er hing im Gurt, hatte sich mit Armen und Beinen verspreizt und wartete in regungsloser Panik auf den finalen Sturz.
Aber irgendetwas hielt die Bewegung auf. Und zu diesem Etwas gehörte eine Stimme, ein sanft dröhnender Bass. „Öha!“ Dann kam das Auto wieder auf den Rädern zu stehen. „Und jetzt steigst aus.“
5
Mit zitternden Händen löste Käfer den Gurt und versuchte vergeblich, die Tür zu öffnen. Wenigstens gelang es ihm, das Seitenfenster hochzuklappen. Er sah eine mächtige Hand nach innen greifen. Ein Ruck, ein misstönendes Geräusch, und er war frei.
„Wie geht’s Ihnen denn? Sie bluten am Kopf.“
„Ja?“ Käfer griff sich an die Schläfe. „Nichts Schlimmes, glaub ich, Glück gehabt, aber der Schreck sitzt mir ordentlich in den Knochen. Ja, und danke! Sie haben mir wohl das Leben gerettet.“
„So? Hab ich? Dabei wollt ich nur Schnee in die Traun schaufeln. Ich schieb schnell diesen Blechhaufen hier von der Straße, und dann kommen Sie zu mir ins Haus, Herr Käfer, da ist es wärmer.“
„Sie kennen mich?“
„Schaut so aus. Ich bin übrigens der Sepp Köberl.“
Das Haus war nur ein paar Minuten Gehzeit von der Unfallstelle entfernt. Als die beiden eintraten, kam ihnen eine kleine, schmale Frau entgegen, das Haar weißblond und schulterlang. „Was ist passiert, Sepp?“
„Nicht viel, Christine.“ Er ließ eine Strähne ihres Haares zwischen Daumen und Mittelfinger hindurchgleiten. „Wundpflaster, Kopfwehpulver und Lupitscher bitte. In dieser Reihenfolge.“ Er wandte sich Käfer zu. „Lupitscher ist normalerweise Rum mit Tee, diesmal aber Tee mit Rum, damit Sie uns nicht auch noch rauschig werden. Da vorn ist das Wohnzimmer.“
„Und? Noch immer alles in Ordnung mit Ihnen?“ Köberl schnupperte prüfend an der Teetasse. „Soll ich nicht doch lieber einen Arzt anrufen?“
„Nein, nein, nicht nötig. Aber einen Mechaniker werd ich brauchen. Oder einen Schrotthändler.“
„Da kann ich sicher was tun, aber erst nächste Woche, wenn die Faschingstage vorbei sind.“
„Halb so eilig, Herr Köberl. Wann geht’s denn so richtig los mit dem Narrentreiben?“
„So richtig erst am Sonntag. Aber schon Samstag, also übermorgen, gibt’s die ersten Faschingsbriefe zu hören.“
„Was ist denn das?“
„Gar nicht so einfach zu beantworten, diese Frage. Es geht um Spottlieder, oft nach Art der alten Bänkelsänger illustriert. Mit Bosheit und Schadenfreude werden alle Ausseer Peinlichkeiten besungen, alle Leichen aus dem Keller geholt, alle Gerüchte aufgewärmt. Nicht grad angenehm für die Betroffenen. Aber es ist ja Fasching. Und am Aschermittwoch ist alles vergessen. Fast alles.“
Käfer hatte Tee getrunken, spürte Wärme in sich aufsteigen und fühlte sich wohl. „Und ich kann da auch zuhören?“
„Klar. Sie werden halt nicht alles verstehen, als Fremder. Aber diese Faschingsbriefe haben ja auch musikalisch ihren Reiz, oft genug in beachtlicher Qualität.“
Käfer lehnte sich zurück. „Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass ich an genau der richtigen Stelle versucht habe, in die Traun zu fallen. Sie kennen sich aus, mit Ausseer Bräuchen, wie?“
„Ja.“
Neugierig geworden, schaute sich Käfer in Köberls Wohnzimmer um. Ein krummer Bretterboden, ein großer Fleckerlteppich, alte Bauernmöbel, viele, viele Bücher, Bilder …
„Herr Köberl!“ Käfer schlug mit der flachen Hand gegen die Stirn. „Sepp Köberl, der Verfasser des viel gerühmten Standardwerks über das Ausseerland?“
„Gehen S’ vorsichtiger mit Ihrem Kopf um, Herr Käfer. Ja, das Buch ist von mir. Freut mich, dass Sie es kennen. Eine schöne Sache, so ein Buch, und ein schwerer Brocken, zum Verzweifeln schwer manchmal.“
„Viel Arbeit, wenig Geld, nicht wahr?“
„Ich wünsch Ihnen meine Sorgen nicht, Herr Käfer. Aber Ihnen hat man ja auch übel mitgespielt, soviel ich weiß. Freut mich jedenfalls, dass wir einander kennen gelernt haben, auch wenn’s dabei einen ordentlichen Blechschaden gegeben hat.“
„Und ich darf in den nächsten Tagen öfter auf Sie zukommen? Vielleicht wissen Sie ja, dass ich …“
„… Ihr Buchprojekt, ich bin im Bilde und ich helfe Ihnen gerne, wenn Zeit ist. Und die Christine weiß immer, wo ich ungefähr zu finden bin. Fast immer.
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