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Narziss Und Goldmund

Narziss Und Goldmund

Titel: Narziss Und Goldmund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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anheim, ihr gab er den Wald, die Sonne, die Augen, die Hände, ihr gab er sein ganzes Wesen und Leben zurück, in die mütterlichen Hände.
    Mitten in seinen Tränen schlief er ein, mütterlich nahm ihn Erschöpfung und Schlaf in die Arme. Eine Stunde 270
    schlief er, oder zwei, und war dem Elend entrückt.
    Wieder erwacht, empfand er heftige Schmerzen. Peinlich brannten die zerschnürten Handgelenke, zerrende Schmerzen zogen durch Rücken und Nacken. Mit Mühe richtete er sich auf, kam zu sich und erkannte seine Lage wieder. Es war vollkommen schwarze Finsternis um ihn her, er wußte nicht, wie lang er geschlafen habe, er wußte nicht, wieviel Stunden ihm noch zu leben blieben.
    Vielleicht schon im nächsten Augenblick kamen sie und holten ihn fort, zum Sterben. Da erinnerte er sich, daß ihm ein Priester versprochen worden war. Er glaubte nicht, daß dessen Sakramente ihm viel würden nützen können. Er wußte nicht, ob auch die vollkommenste Lossprechung und Sündenvergebung ihn in den Himmel bringen könne.
    Er wußte nicht, ob es einen Himmel gebe, und einen Gottvater, und ein Gericht und eine Ewigkeit. Er hatte in diesen Dingen seit langem jede Gewißheit verloren.
    Aber ob es nun eine Ewigkeit geben mochte oder nicht er begehrte sie nicht, er wollte nichts als dies unsichere, vergängliche Leben, dieses Atmen, dieses Zuhausesein in seiner Haut, er wollte nichts als leben. Rasend richtete er sich auf, tappte schwankend im Dunkeln bis zur Mauer, lehnte sich aufrecht an die Wand und begann nachzudenken Es mußte doch eine Rettung geben! Vielleicht war der Priester die Rettung, war vielleicht von seiner Unschuld zu überzeugen, legte ein Wort für ihn ein oder verhalf ihm zu Aufschub oder Flucht! Heftig vertiefte er sich in diese Gedanken, immer wieder. Und wenn es damit nichts war, so wollte er es doch nicht aufgeben, das Spiel durfte noch nicht verloren sein. Er wurde also zuerst versuchen, den Priester für sich zu gewinnen, er wurde sich die äußerste Mühe geben, ihn zu bezaubern, ihn warm zu bekommen, ihn zu überzeugen, ihm zu schmeicheln. Der Priester war die einzige gute Karte in seinem Spiel, alle andern Mög-271
    lichkeiten waren Träume. Immerhin, es gab Zufälle und Fügungen, der Henker konnte eine Kolik bekommen, der Galgen konnte brechen, es konnte sich eine vorher nicht auszudenkende Fluchtmöglichkeit einstellen. Auf alle Fäl-le weigerte Goldmund sich zu sterben, er hatte vergeblich versucht, dies Schicksal in sich einzulassen und aufzuneh-men, es war ihm nicht gelungen. Er würde sich zur Wehr setzen und bis aufs äußerste kämpfen, er würde dem Wächter ein Bein stellen, er würde den Henker nieder-rennen, er würde sich bis zum letzten Augenblick mit jedem Blutstropfen um sein Leben wehren. – Oh, wenn er doch den Pfaffen dazu bringen konnte, daß er ihm die Hände losbände! Unendlich viel wäre dann gewonnen.
    Inzwischen versuchte er, auf die Schmerzen nicht achtend, mit seinen Zähnen an den Stricken zu arbeiten. Mit wütender Anstrengung brachte er es nach grausam langer Zeit dahin, daß sie ihm ein wenig gelockert schienen. Er stand keuchend in der Nacht seines Gefängnisses, die verschwollenen Arme und Hände taten sehr weh. Als er wieder zu Atem gekommen war, schlich er tastend die Mauer entlang, immer weiter, durchforschte Schritt um Schritt die feuchte Kellerwand, ob er keine vorspringende Kante finde. Da fielen die Stufen ihm ein, über die er in dies Verlies gestolpert war. Er suchte und fand sie. Er kniete nieder und versuchte, den Strick an einer der steinernen Stufenkanten zu reiben. Es ging schwer, immer trafen statt des Stricks seine Handknöchel auf den Stein, es schmerzte wie Feuer, er fühlte das Blut rinnen. Doch ließ er nicht nach. Als schon zwischen Tor und Schwelle ein kläglich dünner Streifen grauen Morgenscheines zu sehen war, hatte er es erreicht. Der Strick war durchgerieben, er konnte ihn lösen, er hatte die Hände frei! Nachher aber konnte er kaum einen Finger bewegen, die Hände waren verschwollen und abgestorben, und die Arme waren bis in die 272
    Schultern hinauf steif verkrampft. Er mußte sie üben, er zwang sie zu Bewegungen, damit das Blut sie wieder durchströme. Denn er hatte jetzt einen Plan, der ihm gut schien.
    Sollte er es gar nicht erreichen können, daß der Pfaffe ihm half, nun dann mußte er, falls man den Mann auch nur die kleinste Weile mit ihm allein ließ, ihn totschlagen. Mit einem der Stühle würde es gehen. Erwürgen konnte er ihn

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