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Narziss Und Goldmund

Narziss Und Goldmund

Titel: Narziss Und Goldmund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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nicht, dazu war nicht Kraft genug in Händen und Armen.
    Also ihn erschlagen, schnell sein Priesterkleid umnehmen und darin entkommen! Bis die andern den Totgeschlage-nen fanden, mußte er aus dem Schlosse sein, und dann laufen, laufen! Marie wurde ihn hereinlassen und verbergen. Er mußte es versuchen. Es war möglich.
    Noch nie in seinem Leben hatte Goldmund das Morgen-grauen so beobachtet, erharrt, ersehnt und doch gefürchtet wie in dieser Stunde. Bebend vor Spannung und Ent-schlossenheit äugte er mit Jägeraugen, wie der elende Lichtspalt unterm Tor langsam, langsam heller wurde. Er kehrte zum Tisch zurück und übte sich darin, so mit den Händen zwischen den Knien auf der Stabelle zu hocken, daß man das Fehlen seiner Fesseln nicht gleich bemerken konnte. Seit seine Hände frei waren, glaubte er nicht mehr an den Tod. Er war entschlossen durchzukommen, und wenn die ganze Welt dabei in Scherben ging. Er war entschlossen zu leben, um jeden Preis. Seine Nase bebte vor Begierde nach Freiheit und Leben. Und wer weiß, vielleicht kam man ihm von draußen zu Hilfe! Agnes war ein Weib, und ihre Macht reichte nicht weit, vielleicht auch nicht ihr Mut, es war möglich, daß sie ihn preisgab. Aber sie liebte ihn, vielleicht konnte sie doch etwas tun. Vielleicht schlich draußen die Zofe Berta – und gab es nicht auch noch einen Reitknecht, von dem sie meinte, daß Verlaß auf ihn sei?
    Und wenn niemand erschien und ihm kein Zeichen gege-273
    ben würde, nun, dann führte er seinen Plan aus.
    Mißglückte er, so schlug er mit dem Stuhl die Wächter tot, zwei oder drei oder wie viele eben kamen. Eines Vorteils war er gewiß: seine Augen hatten sich an den finsteren Raum gewöhnt, jetzt in der Dämmerung erkannte er ahnend alle Formen und Maße, während die anderen hier zuerst ganz blind sein würden.
    Fiebernd hockte er nun am Tisch, genau überlegend, was er dem Priester zu sagen habe, um ihn als Helfer zu gewinnen, denn damit mußte begonnen werden. Zugleich beobachtete er gierig das bescheidene Wachsen des Lichtes in der Spalte. Den Augenblick, den er vor Stunden so sehr gefürchtet hatte, ersehnte er jetzt mit Inbrunst, kaum konnte er ihn mehr erwarten, die furchtbare Spannung ließ sich nicht lange mehr ertragen. Auch mußten ja seine Kräfte, seine Aufmerksamkeit, seine Entschlußkraft und Wachheit allmählich wieder abnehmen. Der Wärter mit dem Priester mußte bald kommen, solang diese gespannte Bereitschaft, dieser entschlossene Wille zur Rettung noch in der Blüte stand.
    Endlich erwachte draußen die Welt, endlich näherte sich der Feind. Es hallten Schritte auf dem Hofpflaster, es wurde der Schlüssel ins Loch gesteckt und gedreht, jeder dieser Laute klang nach der langen Todesstille laut wie Donner.
    Und jetzt öffnete sich langsam das schwere Tor ein Stückchen weit und kreischte in den Angeln. Herein kam ein Geistlicher, ohne Begleitung, ohne Wächter. Allein kam er herein, einen Leuchter mit zwei Kerzen tragend. Nun war alles wieder anders, als der Gefangene es sich gedacht hatte.
    Und wie sonderbar und bewegend der eingetretene
    Priester, hinter welchem unsichtbare Hände die Tür wieder zudrückten, trug die Ordenstracht des Klosters 274
    Mariabronn, die wohlbekannte, heimatliche Tracht, wie sie einst der Abt Daniel, der Pater Anselm, der Pater Martin getragen hatten! Der Anblick gab ihm einen wunderlichen Stoß im Herzen, er mußte die Augen abwenden. Das Erscheinen dieser Klostertracht mochte Freundliches versprechen, es mochte ein gutes Zeichen sein. Aber vielleicht gab es doch keinen andern Ausweg als den Totschlag. Er biß die Zähne zusammen. Es würde ihm sehr schwerfallen, diesen Ordensbruder umzubringen.
    Siebzehntes Kapitel
    »Gelobt sei Jesus Christus«, sagte der Pater und setzte den Leuchter auf den Tisch. Murmelnd responsierte Goldmund, vor sich niederstarrend.
    Der Geistliche schwieg. Wartend stand er da und
    schwieg, bis Goldmund unruhig wurde und seine Augen forschend auf den Mann richtete, der vor ihm stand.
    Dieser Mann, so sah er jetzt zu seiner Verwirrung, trug nicht nur die Tracht der Patres von Mariabronn, er trug auch die Abzeichen der Abtswürde.
    Und nun blickte er dem Abt ins Gesicht. Es war ein hageres Gesicht, fest und klar geschnitten, mit sehr dünnen Lippen. Es war ein Gesicht, das er kannte. Wie verzaubert blickte Goldmund in dies Gesicht, das ganz von Geist und Wille geformt schien. Mit unsicherer Hand griff er nach dem Leuchter, hob ihn auf und näherte ihn dem

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