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Narziss Und Goldmund

Narziss Und Goldmund

Titel: Narziss Und Goldmund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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der Wanderschaft und Not, all der durchwanderten
    Schneenächte und all der Freundschaft und Vertrautheit mit Tieren, Blumen, Bäumen, Wassern, Fischen, Schmet-terlingen. Es bedurfte dazu der in Wollust und in Gefahr geschärften Sinne, der Heimatlosigkeit, der ganzen in vielen Jahren gehäuften Bilderwelt im Innern. Solange sein Leben ein Garten war, in dem solche Zauberblumen wie Agnes blühten, durfte er nicht klagen.
    Den ganzen Tag brachte er auf den herbstlichen Höhen zu, wandernd, rastend, Brot essend, an Agnes und den Abend denkend. Um die Zeit des Zunachtens war er
    wieder in der Stadt und näherte sich dem Schloß. Es war kühl geworden, und die Häuser blickten aus stillen roten Fensteraugen, es begegnete ihm ein kleiner Zug von singenden Knaben, die trugen auf Stäben ausgehöhlte Rüben über sich, in welche Gesichter geschnitzt und brennende Kerzen gesteckt waren. Der kleine Mummenschanz brachte einen Duft von Winter mit sich, lächelnd sah Goldmund ihm nach. Lange Zeit trieb er sich vor dem Schloß herum.
    Noch immer war die Pfaffengesandtschaft da, hier und 263
    dort sah man in einem Fenster einen der geistlichen Herren stehen. Endlich gelang es ihm, sich ins Innere zu schleichen und die Zofe Berta zu finden. Wieder wurde er in der Kleiderkammer verborgen, bis Agnes erschien und ihn zärtlich in ihr Zimmer führte. Zärtlich empfing ihn ihr schönes Gesicht, zärtlich, aber gar nicht froh, sie war traurig, sie machte sich Sorgen, sie war ängstlich. Er mußte sich viel Mühe geben, sie ein wenig zu erheitern. Langsam gewann sie unter seinen Küssen und Liebesworten etwas Zuversicht.
    »Du kannst so sehr lieb sein«, sagte sie dankbar »Du hast so tiefe Töne in deiner Kehle, mein Vogel, wenn du zärtlich bist und gurrst und schwatzest. Ich hab dich lieb, Goldmund. Wenn wir doch weit von hier wären! Es gefällt mir nicht mehr hier, es wird ja ohnehin bald zu Ende sein, der Graf ist abberufen, bald soll der dumme Bischof zu-rückkommen. Der Graf ist heut böse, die Pfaffen haben ihn geplagt. Ach du, daß er dich nicht zu sehen bekommt! Du würdest keine Stunde mehr leben. Es ist mir so bange um dich.«
    In seiner Erinnerung stiegen halbverlorene Klänge auf-hatte er nicht dies Lied schon vor Zeiten einmal gehört? So hatte einst Lydia zu ihm gesprochen, so liebend und angstvoll, so zärtlich-traurig. So war sie nachts in seine Kammer gekommen, voll Liebe und voll Angst, voll Sorgen, voll von schrecklichen Bildern der Furcht. Er hörte es gerne, das zärtlich-ängstliche Lied. Was wäre Liebe ohne Heimlichkeit? Was wäre Liebe ohne Gefahr?
    Sanft zog er Agnes an sich, streichelte sie, hielt ihre Hand, summte ihr leise Werbungen ins Ohr, küßte ihre Augenbrauen. Es rührte und entzückte ihn, sie
    seinetwegen so angstvoll und besorgt zu finden. Dankbar empfing sie seine Liebkosungen, beinahe demütig, sie drängte sich voll Liebe an ihn, aber heiter wurde sie nicht.

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    Und plötzlich zuckte sie heftig zusammen, man hörte in der Nähe eine Tür zuschlagen, und rasche Schritte näherten sich dem Zimmer.
    »Um Gottes willen, er ist es!« rief sie verzweifelt, »es ist der Graf. Schnell, durch die Kammer kannst du entkommen Schnell! Verrate mich nicht!«
    Schon hatte sie ihn in die Kleiderkammer gedrängt, allein stand er und tappte zögernd im Finstern. Drüben hörte er den Grafen laut mit Agnes sprechen. Er tastete sich zwischen den Kleidern hindurch zur Ausgangstür, lautlos setzte er Fuß vor Fuß. Nun war er bei der Türe, die zum Korridor führte, und suchte sie leise zu öffnen Und in diesem Augenblick erst, als er die Tür von außen verschlossen fand, erschrak auch er, und sein Herz begann wild und schmerzhaft zu schlagen. Es konnte ein un-glücklicher Zufall sein, daß jemand, seit er hier hereinge-kommen war, diese Tür verschlossen hatte. Er glaubte aber nicht daran. Er war in eine Falle gegangen, er war verloren, irgendjemand mußte ihn gesehen haben, als er hier hereinschlich. Es wurde ihn den Hals kosten. Zitternd stand er im Finstern, und sogleich fiel Agnesens Abschiedswort ihm ein »Verrate mich nicht!« Nein, er würde sie nicht verraten. Sein Herz hämmerte, aber der Entschluß machte ihn fest, trotzig biß er die Zähne zusammen.
    Dies war alles in wenigen Augenblicken geschehen. Jetzt ging jenseits die Tür, und aus Agnesens Zimmer trat der Graf herein, mit einem Leuchter in der Linken und dem gezogenen Schwert in der Rechten. Im selben Augenblick raffte Goldmund mit hastigem

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