Narziss Und Goldmund
Säulen und Gewölben als in seiner natürlichen Heimat. Was hier in ein paar hundert Jahren gebaut, gemeißelt, gemalt, gelebt, gedacht und gelehrt worden war, das war eines Stammes, eines Geistes, und paßte zusammen wie die Äste eines Baumes zusammenpassen.
Inmitten dieser Welt nun, dieser stillen mächtigen Einheit, fühlte Goldmund sich sehr klein, und nie fühlte er sich kleiner, als wenn er den Abt Johannes, seinen Freund Narziß, in dieser gewaltigen und doch stillfreundlichen Ordnung walten und regieren sah. Mochte zwischen dem gelehrten, schmallippigen Abt Johannes und dem einfachen, gütig schlichten Abt Daniel ein noch so großer Unterschied der Personen bestehen, jeder von ihnen diente doch der gleichen Einheit, demselben Gedanken, derselben Ordnung, erhielt durch sie seine Würde, brachte ihr seine Person zum Opfer. Das machte sie einander ebenso ähnlich, wie die Klostertracht es tat.
Inmitten dieses seines Klosters wurde Narziß in Goldmunds Augen unheimlich groß, ohne daß er doch sich gegen ihn anders denn als freundlicher Kamerad und Wirt 293
betragen hatte. Bald wagte er kaum mehr, ihn du und
»Narziß« zu nennen.
»Höre, Abt Johannes«, sagte er einmal zu ihm, »allmählich werde ich mich doch wohl an deinen neuen Namen gewohnen müssen. Ich muß dir sagen, daß es mir bei euch sehr wohl gefällt. Beinah hätte ich Lust, dir eine General-beichte abzulegen und nach getaner Buße um die Aufnahme als Laienbruder zu bitten. Aber sieh, dann würde unsere Freundschaft zu Ende sein, du wärest der Abt und ich der Laienbruder. Aber so neben dir hinzuleben und deine Arbeit zu sehen und selber nichts zu sein und zu leisten, das ertrage ich nicht länger. Auch ich möchte gern arbeiten und dir zeigen, was ich bin und kann, damit du sehen kannst, ob es sich gelohnt hat, mich vom Galgen loszubitten.«
»Ich freue mich darüber«, sagte Narziß und sprach seine Worte noch präziser und formulierter als sonst »Du kannst zu jeder Stunde beginnen, dir deine Werkstatt einzurichten, sofort werde ich den Schmied und den Zimmermann anweisen, zu deiner Verfügung zu sein. Was an Arbeitsmaterial hier am Ort aufzutreiben ist, darüber verfüge! Was von auswärts bestellt werden muß, durch Fuhrleute, darüber fertige eine Liste an. Und nun höre, wie ich über dich denke und über deine Absichten! Du mußt mir etwas Zeit lassen, mich auszudrücken: ich bin Gelehrter und möchte versuchen, dir die Sache aus meiner Denkwelt heraus darzustellen, ich habe keine andere Sprache als diese. Also folge mir noch einmal, wie du es in früheren Jahren oft so geduldig getan hast.«
»Ich versuche dir zu folgen Sprich nur.«
»Erinnere dich daran, wie ich dir schon in unsern Schülerzeiten manchmal sagte, daß ich dich für einen Künstler halte. Damals schien mir, es könnte ein Dichter aus dir werden, du hattest beim Lesen und Schreiben eine gewisse Abneigung gegen das Begriffliche und Abstrakte 294
und liebtest in der Sprache die Worte und Klänge
besonders, denen sinnlich-dichterische Qualitäten eigen waren, also die Worte, bei welchen man sich etwas vorstellen kann.«
Goldmund unterbrach: »Verzeih, aber sind Begriffe und Abstraktionen, die du bevorzugst, nicht doch auch Vorstellungen, Bilder? Oder brauchst und liebst du wirklich zum Denken die Worte, bei welchen man sich nichts vorstellen kann? Kann man denn denken, ohne sich etwas dabei vorzustellen?«
»Gut, daß du fragst! Aber gewiß kann man ohne Vorstellungen denken! Das Denken hat mit Vorstellungen nicht das mindeste zu tun. Es vollzieht sich nicht in Bildern, sondern in Begriffen und Formeln. Genau dort, wo die Bilder aufhören, fängt die Philosophie an. Dies war es ja, worüber wir einst als Jünglinge so oft gestritten haben: für dich bestand die Welt aus Bildern, für mich aus Begriffen. Ich sagte dir stets, du seiest zum Denker untauglich, und sagte dir auch, daß dies kein Mangel sei, da du dafür ein Herrscher im Gebiet der Bilder bist. Paß auf, ich werde es dir klarmachen: Wärest du, statt damals in die Welt zu laufen, ein Denker geworden, so hättest du Unheil anrichten können.
Du wärest nämlich ein Mystiker geworden. Die Mystiker sind, kurz und etwas grob gesagt, jene Denker, welche nicht von den Vorstellungen loskommen können, also überhaupt keine Denker sind Sie sind heimliche Künstler Poeten ohne Verse, Maler ohne Pinsel, Musiker ohne Töne.
Es sind höchst begabte und edle Geister unter ihnen, aber sie sind alle ohne Ausnahme
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