Narziss Und Goldmund
wissen, Goldmund, was einmal aus dir werden wird, ich denke oft darüber nach. Du wirst kein gewöhnliches Leben haben und kein leichtes. Ach, möchte es dir doch gut ergehen!
Manchmal denke ich, du müßtest ein Dichter werden, einer, der Gesichte und Träume hat und sie schön ausspre-121
chen kann. Ach, du wirst durch die ganze Welt wandern, und alle Frauen werden dich lieben, und doch wirst du allein bleiben. Geh lieber wieder ins Kloster zu deinem Freund, von dem du mir soviel erzählst! Ich werde für dich beten, daß du nicht einst allein im Walde sterben mußt.«
So konnte sie sprechen, in tiefem Ernst, mit verlorenen Augen. Aber dann konnte sie wieder lachend mit ihm über das spätherbstliche Land reiten oder ihm Scherzrätsel aufgeben und ihn mit welkem Laub und blanken Eicheln bewerfen.
Einmal lag Goldmund in seiner Kammer im Bett und
wartete auf den Schlaf. Das Herz war ihm schwer, auf eine holde schmerzliche Art, schwer und voll schlug es in seiner Brust, überfüllt mit Liebe, überfüllt mit Trauer und Ratlosigkeit. Er hörte den Novemberwind am Dach rütteln; schon war es eine Gewohnheit geworden, daß er vor dem Einschlafen eine ganze Weile so lag und der Schlaf nicht kam. Leise sprach er, wie es am Abend seine Gewohnheit war, ein Marienlied in sich hinein:
»Tota pulchra es, Maria,
et macula originalis non est in te.
Tu laetitia Israel,
tu advocata peccatorum!«
Mit seiner sanften Musik sank das Lied in seine Seele, zugleich aber sang draußen der Wind, sang von Unfriede und Wanderung, vom Wald, vom Herbst, vom Leben der Heimatlosen. Er dachte an Lydia und dachte an Narziß und an seine Mutter, voll und schwer war sein unruhiges Herz.
Da schreckte er auf und starrte ungläubig: die Kammertür war aufgegangen, im Dunkeln kam eine Gestalt im langen weißen Hemde herein, lautlos kam Lydia mit bloßen Füßen über die Steinfliesen hereingegangen, schloß sachte die Tür und setzte sich auf sein Lager.
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»Lydia«, flüsterte er, »mein Rehlein, meine weiße Blume!
Lydia, was tust du?«
»Ich komme zu dir«, sagte sie, »bloß für einen Augenblick. Ich will doch einmal sehen, wie mein Goldmund in seinem Bettlein liegt, mein Goldherz.«
Sie legte sich zu ihm, still lagen sie, mit schweren schlagenden Herzen. Sie ließ ihn küssen, sie ließ seine bewun-dernden Hände an ihren Gliedern spielen, mehr war nicht erlaubt. Nach einer Weile streifte sie seine Hände sanft von sich, küßte ihn auf die Augen, stand lautlos auf und verschwand. Die Tür knarrte, im Dachstuhl klirrte und drück-te der Wind. Alles war verzaubert, voll Geheimnis, voll Bangigkeit, voll Versprechen, voll Drohung. Goldmund wußte nicht, was er denke, was er tue. Als er nach einem unruhigen Schlummer wieder erwachte, war sein Kissen naß von Tränen.
Sie kam nach einigen Tagen wieder, das süße weiße Gespenst, und lag eine Viertelstunde bei ihm, wie das letztemal. Flüsternd sprach sie, von seinen Armen umschlossen, ihm ins Ohr, sie hatte viel zu sagen und zu klagen. Zärtlich hörte er ihr zu, sie lag auf seinem linken Arm, mit der rechten Hand streichelte er ihre Knie.
»Goldmündchen«, sagte sie, mit ganz gedämpfter Stimme dicht an seiner Wange, »es ist so traurig, daß ich nie werde dir gehören dürfen. Es wird nicht lang mehr dauern, unser kleines Glück, unser kleines Geheimnis. Julie hat schon Verdacht, bald wird sie mich zwingen, es ihr zu sagen. Oder der Vater merkt es. Wenn er mich bei dir im Bett fände, mein kleiner Goldvogel, dann ginge es deiner Lydia übel; sie stünde mit verweinten Augen und blickte zu den Bäumen hinauf und sähe ihren Liebsten droben hangen und im Winde wehen. Ach du, lauf lieber fort, lieber jetzt gleich, statt daß der Vater dich binden und aufhängen läßt.
Ich habe schon einmal einen hängen sehen, einen Dieb. Ich 123
kann dich nicht hängen sehen, du, lauf lieber davon und vergiß mich; daß du nur nicht sterben mußt, Göldchen, daß nur in deine blauen Augen nicht die Vögel hacken!
Aber nein, du Sehatz, du darfst nicht fortgehen – ach, was mache ich, wenn du mich allein läßt.«
»Willst du denn nicht mit mir kommen, Lydia? Wir fliehen miteinander, die Welt ist groß!«
»Das wäre sehr schön«, klagte sie, »ach wie schön, mit dir durch die ganze Welt zu laufen! Aber ich kann nicht. Ich kann nicht im Walde schlafen und heimatlos sein und Strohhalme in den Haaren haben, ich kann das nicht. Ich kann auch dem Vater nicht die Schande machen. – Nein, rede
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