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Narziss Und Goldmund

Narziss Und Goldmund

Titel: Narziss Und Goldmund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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sie aus einem Kinde zu einer Macht geworden. Lydia hatte davon mehr zu leiden als Goldmund, der die Kleine außer bei den Mahlzeiten selten zu Gesichte bekam. Es konnte Lydia auch nicht verborgen bleiben, daß Goldmund gegen Julies Reiz nicht unempfindlich war, manchmal sah sie seinen anerkennenden, genießenden Blick auf ihr ruhen. Sie durfte nichts sagen, alles war so schwierig, alles so voll Gefahr, namentlich durfte Julie nicht verstimmt und beleidigt werden; ach, jeden Tag und jede Stunde konnte das Geheimnis ihrer Liebe entdeckt und ihrem schweren 126
    angstvollen Glück ein Ende gemacht werden, vielleicht ein schreckliches.
    Manchmal wunderte sich Goldmund darüber, daß er
    nicht längst auf und davon gegangen war. Es war schwer, so zu leben, wie er jetzt lebte: geliebt, aber ohne Hoffnung, weder auf ein erlaubtes und dauerndes Glück, noch auf die leichten Erfüllungen, an welche seine Liebeswünsche bisher gewohnt waren; mit ewig gereizten und hungrigen, nie gestillten Trieben, dabei in beständiger Gefahr. Warum blieb er hier und ertrug das alles, alle diese Verwicklungen und verwirrten Gefühle? Waren das nicht Erlebnisse, Ge-fühle und Gewissenszustände für Seßhafte, für Legitime, für Leute in geheizten Stuben? Hatte er nicht das Recht des Heimatlosen und Anspruchslosen, sich diesen Zartheiten und Kompliziertheiten zu entziehen und ihrer zu lachen?
    Ja, dies Recht hatte er, und er war ein Narr, daß er hier etwas wie Heimat suchte und es mit so viel Schmerzen, so viel Verlegenheiten bezahlte. Und dennoch tat und litt er es, litt es gerne, war heimlich glücklich dabei. Es war dumm und schwierig, es war kompliziert und anstren-gend, auf eine solche Art zu lieben, aber es war wunderbar.
    Wunderbar war die dunkelschöne Traurigkeit dieser Liebe, ihre Narrheit und Hoffnungslosigkeit; schön waren diese gedankenvollen Nächte ohne Schlaf; schön und köstlich war dies alles wie der Leidenszug auf Lydias Lippen, wie der verlorene, ergebene Klang ihrer Stimme, wenn sie von ihrer Liebe und Sorge sprach. In wenigen Wochen war dieser Leidenszug auf Lydias jungem Gesicht entstanden und heimisch geworden, dessen Linien mit der Feder nachzuzeichnen ihm so schön und wichtig schien, und er fühlte: in diesen wenigen Wochen war auch er selbst anders und sehr viel älter geworden, nicht klüger und dennoch erfahrener, nicht glücklicher und doch viel reifer und reicher in der Seele. Er war kein Knabe mehr.

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    Mit ihrer sanften, verlorenen Stimme sagte Lydia zu ihm: »Du mußt nicht traurig sein, nicht meinetwegen, ich möchte dich ja nur fröhlich machen und glücklich sehen.
    Verzeih, ich habe dich traurig gemacht, ich habe dich mit meiner Angst und Betrübnis angesteckt. Ich träume nachts so merkwürdig: immer gehe ich da in einer Wüste, die ist so groß und so dunkel, wie ich nicht sagen kann, da gehe ich und gehe und suche dich, aber du bist nicht da, und ich weiß, ich habe dich verloren und werde immer, immer so gehen müssen, so allein. Dann, wenn ich erwache, denke ich: o wie gut, o wie herrlich ist es, daß er noch da ist und ich ihn sehen werde, vielleicht noch Wochen oder noch Tage, einerlei, aber er ist noch da!« Eines Morgens erwachte Goldmund bald nach Tagesanbruch in seinem Bette und blieb eine Weile nachsinnend liegen, Bilder aus einem Traume waren noch um ihn, doch ohne Zusam-menhang. Er hatte von seiner Mutter geträumt und von Narziß, beide Gestalten konnte er noch deutlich sehen. Als er sich aus den Traumfäden befreit hatte, fiel ein besonderes Licht ihm auf, eine eigentümliche Art von Helligkeit, die heute durchs kleine Fensterloch hereinkam. Er sprang auf und lief zum Fenster, da sah er das Fenstergesimse, das Dach des Pferdestalls, die Hofeinfahrt und die ganze Landschaft jenseits bläulichweiß schimmern, vom ersten Schnee dieses Winters bedeckt. Der Gegensatz zwischen der Unruhe seines Herzens und der stillen, ergebenen Winterwelt machte ihn betroffen: wie ruhig, wie rührend und fromm gab sich Acker und Wald, Hügel und Heide der Sonne, dem Wind, dem Regen, der Dürre, dem Schnee hin, wie schön und sanft leidend trugen Ahorn und Esche ihre Winterlast! Konnte man nicht werden wie sie, konnte man nichts von ihnen lernen? Gedankenvoll ging er auf den Hof hinaus, watete im Schnee und befühlte ihn mit den Händen, ging zum Garten hinüber und blickte über den hoch 128
    beschneiten Zaun in die vom Schnee hinabgebogenen Rosen-Stämme.
    Zum Frühstück aß man eine Mehlsuppe, alle

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