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Narziss Und Goldmund

Narziss Und Goldmund

Titel: Narziss Und Goldmund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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sprachen vom ersten Schnee, alle – auch die Mädchen – waren schon draußen gewesen. Der Schnee kam spät in diesem Jahr, schon war die Weihnacht nahe. Der Ritter erzählte von den südlichen Landern, wo es keinen Schnee gebe. Das aber, was diesen ersten Wintertag für Goldmund unvergeßlich machte, begab sich erst, als es längst Nacht geworden war.
    Die beiden Schwestern hatten heut einen Zank gehabt, von dem Goldmund nichts wußte. Nachts, als es still und dunkel im Hause geworden war, kam Lydia zu ihm, in ihrer gewohnten Art, sie legte sich schweigend zu ihm und den Kopf an seine Brust, um sein Herz schlagen zu hören und sich an seiner Nähe zu trösten. Sie war betrübt und ängstlich, sie fürchtete von Julie Verrat, doch konnte sie sich nicht entschließen, mit dem Liebsten davon zu sprechen und ihm Sorge zu bringen. So lag sie still an seinem Herzen, hörte ihn zuweilen ein Kosewort flüstern und spürte seine Hand in ihren Haaren.
    Plötzlich aber – sie war noch nicht lange so gelegen –
    erschrak sie furchtbar und richtete sich mit weitauf-gerissenen Augen hoch auf. Und auch Goldmund erschrak nicht wenig, als er die Kammertür offen und eine Gestalt hereintreten sah, die er im Schrecken nicht sofort erkannte. Erst als die Erscheinung dicht am Bette stand und sich darüber neigte, sah er mit beklommenem Herzen, daß es Julie war. Sie schlüpfte aus einem Mantel, den sie übers bloße Hemd geworfen hatte, und ließ den Mantel zu Boden fallen. Mit einem Wehlaut, als hätte sie einen Messerstich empfangen, sank Lydia zurück und klammerte sich an Goldmund.
    Mit einem Ton von Hohn und Schadenfreude, aber doch mit unsicherer Stimme, sagte Julie: »Ich mag nicht so al-129
    lein in der Kammer liegen. Entweder ihr nehmet mich zu euch und wir liegen zu dreien, oder ich gehe und wecke den Vater.«
    »Ja, dann komm nur«, sagte Goldmund und schlug die Decke zurück. »Du erfrierst dir ja die Füße.« Sie stieg ein, und er hatte Mühe, ihr auf dem schmalen Lager etwas Raum zu schaffen, denn Lydia hatte das Gesicht ins Kissen vergraben und lag regungslos. Endlich lagen sie alle drei, auf jeder Seite Goldmunds ein Mädchen, und einen Augenblick konnte er sich des Gedankens nicht erwehren, wie sehr diese Lage noch vor kurzer Zeit allen seinen Wünschen entsprochen hätte. Mit wunderlichem Bangen, und doch heimlich entzückt, spürte er Julies Hüfte an seiner Seite.
    »Ich mußte doch einmal sehen«, fing sie wieder an, »wie es sich denn in deinem Bette liegt, das meine Schwester so gern aufsucht.«
    Goldmund, um sie zur Ruhe zu bringen, rieb sachte seine Wange an ihrem Haar und streichelte mit leiser Hand ihre Hüften und Knie, wie man einer Katze schöntut, und sie gab sich schweigend und neugierig in seine tastende Hand, fühlte benommen und andächtig den Zauber, bot keinen Widerstand. Während dieser Beschwörung aber bemühte er sich zugleich um Lydia, summte ihr leise vertraute Liebestöne ins Ohr und brachte sie langsam dazu, wenigstens das Gesicht zu erheben und ihm zuzuwenden.
    Lautlos küßte er ihr Mund und Augen, während seine Hand drüben die Schwester im Bann hielt und die Pein-lichkeit und Verschrobenheit der ganzen Lage ihm bis zur Unerträglichkeit bewußt wurde. Seine Unke Hand war es, die ihn belehrte; während sie mit den schönen, still war-tenden Gliedern Julies bekannt wurde, empfand er zum erstenmal nicht nur die Schönheit und tiefe Hoffnungslosigkeit seiner Liebe zu Lydia, sondern auch ihre Lächer-130
    lichkeit. Er hätte, so schien es ihm jetzt, während seine Lippen bei Lydia waren und seine Hand bei Julien, er hätte Lydia entweder zur Hingabe zwingen oder seines Weges weiterziehen müssen. Sie zu lieben und ihr doch zu entsagen, war ein Unsinn und ein Unrecht gewesen.
    »Mein Herz«, flüsterte er Lydien ins Ohr, »wir leiden unnütze Leiden. Wie glücklich könnten wir jetzt alle dreie sein! Laß uns doch tun, was unser Blut verlangt!«
    Da sie zurückschaudernd sich entzog, flüchtete seine Begierde zur andern, und seine Hand tat ihr so wohl, daß sie mit einem langen bebenden Seufzer der Wollust antwortete.
    Als Lydia diesen Seufzer hörte, zog Eifersucht ihr Herz zusammen, als wäre Gift hineingetropft. Sie setzte sich unversehens auf, riß die Decke vom Bett, sprang auf die Füße und rief: »Julie, laß uns gehen!«
    Julie zuckte zusammen, schon die unbedachte Heftigkeit dieses Rufs, der sie alle verraten konnte, zeigte ihr die Gefahr, und sie erhob sich

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