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Narziss Und Goldmund

Narziss Und Goldmund

Titel: Narziss Und Goldmund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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fertiggebracht hat, das einem am Herzen lag, ich kenne diese Leere. Sie geht vorü-
    ber, glaube mir.«
    Unbefriedigt lief Goldmund weg Der Meister meinte es gut mit ihm, aber was konnte er ihm helfen?
    Am Fluß kannte er eine Stelle, dort war das Wasser nicht tief und strömte über einen Grund voll Gerümpel und Ab-fall, aus den Häusern der Fischervorstadt wurde dort allerlei Kehricht in den Fluß geworfen. Dahin ging er, setzte sich auf die Ufermauer und blickte ins Wasser hinab. Wasser liebte er sehr, jedes Wasser zog ihn an Und wenn man von hier aus durch das strömende, kristallfädige Wasser hinabschaute auf den dunklen undeutlichen Grund, dann sah man hier und dort irgend etwas mit gedämpftem Goldglanz aufblinken und verlockend glitzern, unerkenn-bare Dinge, vielleicht eine alte Tellerscherbe oder eine weggeworfene verbogene Sichel oder einen lichten glatten Stein oder glasierten Ziegel, manchmal auch mochte es ein Schlammfisch sein, eine feiste Trüsche oder ein Rotauge, das sich da unten umdrehte und einen Augenblick auf den 192
    hellen Bauchflossen und Schuppen einen Lichtstrahl auffing – niemals konnte man genau erkennen, was es eigentlich sei, immer aber war es zauberhaft schön und verlockend, dies kurze gedämpfte Aufblinken versunkener Goldschätze im nassen schwarzen Grunde. So wie dies kleine Wassergeheimnis, schien ihm, waren alle echten Geheimnisse, alle wirklichen, echten Bilder der Seele: sie hatten keinen Umriß, sie hatten keine Form, sie ließen sie nur wie eine ferne schöne Möglichkeit ahnen, sie waren verschleiert und vieldeutig. Wie da in der Dämmerung der grünen Flußtiefe für zuckende Augenblicke etwas unsäglich Goldenes oder Silbernes herblinkte, ein Nichts und doch voll seligster Versprechungen, ebenso konnte das verlorene Profil eines Menschen, halb von hinten gesehen, manchmal etwas unendlich Schönes oder unerhört Trauriges ankündigen, oder auch wie unter einem nächtlichen Lastwagen eine Laterne hing und die sich drehenden riesi-gen Schatten der Radspeichen an die Mauern malte, konnte dies Schattenspiel eine Minute lang so voll von Anbli-cken, Geschehnissen und Geschichten sein wie der ganze Vergil. Aus demselben unwirklichen, magischen Stoff waren nachts die Träume gewoben, ein Nichts, das alle Bilder der Welt in sich enthielt, ein Wasser, in dessen Kristall die Formen aller Menschen, Tiere, Engel und Dämonen als allzeit wache Möglichkeiten wohnten.
    Wieder vertiefte er sich in das Spiel, starrte verloren in den ziehenden Fluß, sah formlose Schimmer auf dem Grunde beben, ahnte Königskronen und blanke Frauen-schultern. Einstmals in Mariabronn, so erinnerte er sich, hatte er in den lateinischen und griechischen Buchstaben ähnliche Formträume und Verwandlungszauber gesehen.
    Hatte er nicht damals mit Narziß einmal darüber gesprochen? Ach, wann war das gewesen, vor wieviel hundert Jahren? Ach, Narziß! Um den zu sehen, um mit dem eine Stun-193
    de zu sprechen, seine Hand zu halten, seine ruhige kluge Stimme zu hören, hätte er gern seine zwei Golddukaten gegeben.
    Warum waren denn diese Dinge so schön, dies Gold-
    geleucht unterm Wasser, diese Schatten und Ahnungen, alle diese unwirklichen und feenhaften Erscheinungen –
    warum waren sie denn so unsäglich schön und beglü-
    ckend, da sie doch genau das Gegenteil von dem waren, was ein Künstler Schönes machen konnte? Denn wenn die Schönheit jener unnennbaren Dinge ohne jede Form war und ganz nur aus Geheimnis bestand, so war es ja bei Werken der Kunst gerade umgekehrt, sie waren ganz und gar Form, sie sprachen vollkommen klar. Nichts war unerbittlich klarer und bestimmter als die Linie eines gezeichneten oder in Holz geschnittenen Kopfes oder Mundes.
    Genau, haargenau hatte er die Unterlippe oder die Augenlider von Niklaus’ Marienfigur nachzuzeichnen vermocht, da gab es nichts Unbestimmtes, Täuschendes, Zerfließendes.
    Goldmund dachte hingegeben darüber nach. Es wurde ihm nicht klar, wie es möglich sei, daß das denkbar Be-stimmteste und Geformteste ganz ähnlich auf die Seele wirke wie das Ungreifbarste und Gestaltloseste. Eines aber wurde ihm bei dieser Gedankenübung dennoch klar, nämlich warum so viele tadellose und gutgemachte Kunstwerke ihm ganz und gar nicht gefielen, sondern trotz einer gewissen Schönheit ihm langweilig und beinah verhaßt waren. Werkstätten, Kirchen und Paläste waren voll von solchen fatalen Kunstwerken, er selber hatte an einigen mitgearbeitet. Sie waren so schwer

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