Narziss Und Goldmund
bloß kindisch und gierig den Befehlen seines armen Magens folgen – immer ist er der Gegenspieler und Todfeind des Besitzenden und Seßhaften, der ihn haßt, verachtet und fürchtet, denn er will nicht an all das erinnert werden: nicht an die Flüchtigkeit alles Seins, an das beständige Hinwelken alles Lebens, an den unerbittlichen eisigen Tod, der rund um uns das Weltall erfüllt.
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Die Kindlichkeit des Vagantenlebens, seine mütterliche Herkunft, seine Abkehr von Gesetz und Geist, seine Preis-gegebenheit und heimliche immerwährende Todesnähe hatten längst Goldmunds Seele tief ergriffen und geprägt.
Daß dennoch Geist und Wille in ihm wohnte, daß er dennoch ein Künstler war, machte sein Leben reich und schwierig. Jedes Leben wird ja erst durch Spaltung und Widerspruch reich und blühend. Was wäre Vernunft und Nüchternheit ohne das Wissen vom Rausch, was wäre Sinnenlust, wenn nicht der Tod hinter ihr stünde, und was wäre Liebe ohne die ewige Todfeindschaft der Geschlechter?
Sommer und Herbst sanken hinab, mühsam brachte
sich Goldmund durch die kargen Monate, berauscht
durchwanderte er den süßen duftenden Frühling, die Jahreszeiten liefen so eilig hinweg, so schnell sank immer wieder die hohe Sommersonne hinab. Es ging Jahr um Jahr, und es schien, als habe Goldmund vergessen, daß es anderes auf Erden gebe als Hunger und Liebe und diese stille unheimliche Eile der Jahreszeiten, es schien, als sei er ganz in der mütterlichen, triebhaften Urwelt versunken. In jedem Traum aber und bei jeder sinnenden Rast mit dem Blick über die blühenden und welkenden Taler war er voll Schauen, war Künstler, litt an quälender Sehnsucht, den holden dahintreibenden Unsinn des Lebens durch Geist zu beschwören und in Sinn zu verwandeln.
Einst traf er, der seit dem blutigen Abenteuer mit Viktor nie mehr anders als allein gewandert war, auf einen Kameraden, der sich unmerklich ihm anschloß und den er eine ganze Weile nicht loswurde. Doch war er nicht von der Art Viktors, sondern es war ein Rompilger, ein noch junger Mann in Kutte und Pilgerhut, der Robert hieß und am Bodensee zu Hause war. Dieser Mensch, ein Handwerker-sohn und eine Weile bei den Mönchen des heiligen Gallus 205
zur Schule gegangen, hatte sich schon als Knabe eine Wallfahrt nach Rom in den Kopf gesetzt und sich immer diesem Lieblingsgedanken hingegeben und die erste Gelegenheit, ihn auszuführen, ergriffen. Diese war der Tod seines Vaters, in dessen Werkstatt er als Schreiner gearbeitet hatte. Kaum war der Alte begraben, da erklärte Robert seiner Mutter und Schwester, daß nichts ihn zurückhalten könne, sofort zur Stillung seines Dranges, und um für seine und seines Vaters Sünden zu büßen, die Pilgerfahrt nach Rom anzutreten. Vergebens klagten die Frauen, vergebens schalten sie ihn aus, er blieb eigensinnig und trat, statt für die beiden Weiber zu sorgen, ohne den Segen der Mutter und unter den zornigen Schimpfreden seiner Schwester die Reise an. Was ihn trieb, war vor allem Wan-derlust, mit ihr verband sich eine Art von oberflächlicher Frömmigkeit, das heißt eine Neigung zum Verweilen in der Nähe kirchlicher Stätten und geistlicher Verrichtun-gen, eine Freude an Gottesdienst, Taufe, Begräbnis, Messe, Weihrauch und Kerzenflammen. Er konnte ein wenig Latein, aber nicht Gelehrsamkeit war es, wonach seine kindliche Seele strebte, sondern Beschaulichkeit und stille Schwärmerei im Schatten der Kirchengewölbe. Er war als Knabe mit Leidenschaft dem Dienst als Meßbub hingegeben gewesen. Goldmund nahm ihn nicht sehr ernst und mochte ihn doch gern, ein wenig fühlte er sich ihm verwandt in dem triebhaften Hingegebensein an Wanderung und Fremde. Robert war also damals zufrieden los-gewandert und auch bis nach Rom gekommen, hatte die Gastfreundschaft unzähliger Klöster und Pfarreien in Anspruch genommen, sich Gebirg und Süden betrachtet und sich in Rom zwischen allen den Kirchen und frommen Veranstaltungen sehr wohlgefühlt, Hunderte von Messen gehört und an den berühmtesten und heiligsten Örtern Andacht verrichtet und die Sakramente genossen und 206
mehr Weihrauch eingeatmet, als für seine kleinen Jugend-sünden und für die seines Vaters vonnöten war. Ein Jahr und länger war er ausgeblieben, und als er schließlich wiederkam und wieder ins väterliche Häuschen trat, empfing man ihn nicht wie den verlorenen Sohn, sondern die Schwester hatte sich inzwischen der häuslichen Pflichten und Rechte bemächtigt, hatte einen
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