Narziss Und Goldmund
Hofwerkstatt, stand zum Abschied eine kleine Weile vor seinem Johannes und verließ das Haus mit einem Weh im Herzen, tiefer als er es einst beim Verlassen der Ritterburg und der armen Lydia empfunden hatte.
Es ist wenigstens rasch gegangen! Es ist wenigstens nichts Unnützes gesprochen worden! Das war der einzige Trostgedanke, als er über die Schwelle hinausging und plötzlich Gasse und Stadt ihm mit jenem verwandelten, fremden Gesicht ins Auge sahen, den die gewohnten Dinge annehmen, wenn unser Herz von ihnen Abschied genommen hat. Er warf einen Blick auf die Haustür zurück – es war jetzt die Tür zu einem fremden, ihm verschlossenen Hause.
In seiner Kammer angekommen, stand Goldmund und
begann die Zurüstungen zur Abreise. Freilich, es war da nicht viel zu rüsten, es war nichts zu tun, als Abschied zu nehmen. Es hing da ein Bild an der Wand, das er selbst gemalt hatte, eine sanfte Madonna, und es hingen und lagen Dinger herum, die sein Eigentum waren: ein
Sonntagshut, ein Paar Tanzschuhe, eine Rolle Zeichnungen, eine kleine Laute, eine Anzahl von ihm gekneteter Tonfigürchen, einige Geschenke von Geliebten: ein künstlicher Blumenstrauß, ein rubinrotes Trinkglas, ein alter hartgewordener Lebkuchen in Herzform und dergleichen Kram, wovon jedes Stück seine Bedeutung und Geschichte gehabt hatte und ihm liebgewesen war und was jetzt alles lästiger Plunder war, denn nichts davon konnte er mitneh-men. Wenigstens tauschte er beim Hausherrn das Rubin-202
glas gegen ein starkes gutes Jagdmesser um, das er am Schleifstein im Hofe scharf machte, er zerbröselte den Lebkuchen und fütterte ihn den Hühnern im Nachbarhof, schenkte das Madonnenbild der Hausfrau und bekam
dafür auch ein nützliches Gegengeschenk einen alten ledernen Reiseranzen und einen reichlichen Mundvorrat für die Reise. In den Ranzen packte er einige Hemden, die er besaß, und ein paar kleinere Zeichnungen, über ein Stück Besenstiel gerollt, dazu die Eßwaren. Der übrige Kram mußte zurückbleiben.
Es gab mehrere Frauen in der Stadt, von denen sich zu verabschieden schicklich gewesen wäre, bei einer von ihnen hatte er noch gestern geschlafen, ohne ihr von seinen Plänen zu sagen. Ja, so hängte sich einem dies und jenes an die Fersen, wenn man wandern wollte. Man durfte es nicht ernst nehmen. Er sagte niemandem Lebewohl als den Hausleuten. Er tat es am Abend, um in aller Frühe weggehen zu können.
Trotzdem war am Morgen jemand aufgestanden und
lud ihn, als er eben still das Haus verlassen wollte, zu einer Milchsuppe in die Küche ein. Es war die Tochter des Hauses, ein Kind von fünfzehn Jahren, ein stilles kränkliches Geschöpf mit schönen Augen, aber mit einem Schaden am Hüftgelenk, der sie hinken machte. Sie hieß Marie. Mit übernächtigem Gesicht, ganz bleich, aber sorgfältig gekleidet und gestrählt, bediente sie ihn in der Küche mit heißer Milch und Brot und schien sehr traurig darüber zu sein, daß er fortging. Er dankte ihr und küßte sie zum Abschied mitleidig auf den schmalen Mund. Andächtig, mit geschlossenen Augen, empfing sie den Kuß.
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Dreizehntes Kapitel
In den ersten Zeiten seiner neuen Wanderschaft, im ersten gierigen Taumel der wiedergewonnenen Freiheit, mußte Goldmund erst wieder lernen, das heimatlose und zeitlose Leben der Fahrenden zu leben. Keinem Menschen gehorsam, abhängig nur von Wetter und Jahreszeit, kein Ziel vor sich, kein Dach über sich, nichts besitzend und allen Zufällen offen, fuhren die Heimatlosen ihr kindliches und tapferes, ihr ärmliches und starkes Leben.
Sie sind die Söhne Adams, des aus dem Paradies Vertrie-benen, und sind die Brüder der Tiere, der unschuldigen.
Aus der Hand des Himmels nehmen sie Stunde um Stun-de, was ihnen gegeben wird: Sonne, Regen, Nebel, Schnee, Wärme und Kälte, Wohlsein und Not, es gibt für sie keine Zeit, keine Geschichte, kein Streben und nicht jenen selt-samen Götzen der Entwicklung und des Fortschritts, an den die Hausbesitzer so verzweifelt glauben. Ein Vagabund kann zart oder roh sein, kunstfertig oder tölpisch, tapfer oder ängstlich, immer aber ist er im Herzen ein Kind, immer lebt er am ersten Tage, vor Anfang aller Welt-geschichte, immer wird sein Leben von wenigen einfachen Trieben und Nöten geleitet. Er kann klug sein oder dumm, er kann tief in sich wissend sein, wie gebrechlich und vergänglich alles Leben ist und wie arm und angstvoll alles Lebendige sein bißchen warmes Blut durch das Eis der Welträume trägt, oder er kann
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