Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Narziss Und Goldmund

Narziss Und Goldmund

Titel: Narziss Und Goldmund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
Vom Netzwerk:
saß da in einem Sessel und schlief, es schien eine alte Frau zu sein. Rufen half nichts, das Haus schien verzaubert. Freundlich tippte er der sitzenden Frau auf die Schulter, sie bewegte sich nicht, und jetzt sah er, daß sie mitten in einem Spinnennetze saß, dessen Faden zum Teil an ihrem Haar und ihren Knien befestigt waren. »Die ist tot«, dachte er mit einem leichten Grausen, und um sich zu überzeugen, machte er sich am Feuer zu schaffen, schürte und blies, bis er Flamme hatte und einen langen Span entzünden konnte. Mit dem leuchtete er der Sitzenden ins Gesicht. Er sah unter grauem Haar ein blauschwarzes Leichengesicht, das eine Auge stand offen und blinkte leer und bleiern. Das Weib war hier gestorben, im Stuhl sitzend. Nun ja, man konnte ihr nicht helfen Mit dem bren-209
    nenden Span in der Hand stöberte Goldmund weiter und fand im selben Raum, auf der Schwelle zu einer hinteren Stube, noch eine Leiche liegen, einen Knaben von
    vielleicht acht oder neun Jahren, mit verschwollenem, ent-stelltem Gesicht, im bloßen Hemde. Er lag mit dem Bauch auf der Balkenschwelle, mit beiden Händen machte er feste grimmige Fäustchen. Das ist der zweite, dachte Goldmund, wie in einem häßlichen Traum ging er weiter, in die Hinterstube, dort standen die Läden offen, und der Tag schien hell herein. Vorsichtig löschte er seine Leuchte aus und zertrat die Funken auf dem Boden.
    In der Hinterstube standen drei Bettladen. Eine war leer, unterm derben grauen Leilach sah das Stroh heraus. Im zweiten lag wieder einer, ein bärtiger Mann, starr auf dem Rucken mit zurückgelegtem Kopf und emporstehendem Kinn und Bart, es mußte der Bauer sein. Sein eingesunke-nes Gesicht schimmerte fahl in unvertrauten Todesfarben, ein Arm hing bis zum Boden herab, dort lag umgeworfen und ausgelaufen ein irdener Wasserkrug, das zerronnene Wasser war vom Boden noch nicht ganz verschluckt, es war gegen eine Mulde gelaufen, in der stand noch eine kleine Lache. Im zweiten Bett aber lag, in Leintuch und Kotzen ganz eingegraben und verwickelt, eine starke gro-
    ße Frau, ihr Gesicht war ins Bett eingedrückt, derbes stroh-blondes Haar schimmerte im hellen Licht. Bei ihr und mit ihr verschlungen lag, wie im zerwühlten Leintuch gefangen und erdrosselt, ein halbwüchsiges Mädchen, stroh-blond auch sie, graublaue Flecken im Totengesicht.
    Von einem Toten zum andern ging Goldmunds Blick In dem Mädchengesicht, obwohl es schon sehr entstellt war, stand noch etwas von hilflosem Todesgrauen. Im Nacken und Haar der Mutter, die sich so tief und wild ins Lager eingewühlt hatte, war Wut, Angst und leidenschaftliches Fliehenwollen zu lesen. Namentlich das unbändige Haar 210
    konnte sich gar nicht ins Sterben ergeben. Im Antlitz des Bauern war Trotz und verbissener Schmerz, er war, so schien es, schwer, aber mannhaft gestorben, sein bärtiges Gesicht ragte steil und starr in die Luft wie das eines auf der Wallstatt hin-gestreckten Kriegers. Diese still und trotzig gereckte, ein wenig verbissene Haltung war schön, es war wohl kein geringer und feiger Mensch gewesen, der den Tod so empfing. Rührend aber war der kleine Leichnam des Knaben, der bäuchlings über der Schwelle lag, sein Gesicht sagte nichts, aber seine Lage über der Schwelle samt den festgeballten Kinderfäusten verkündete viel ratloses Leid, hilfloses Sichwehren gegen unerhörte Schmerzen. Dicht neben seinem Kopf war in die Tür ein Katzenloch gesägt. Aufmerksam betrachtete Goldmund alles. Es sah ohne Zweifel in dieser Hütte ziemlich scheußlich aus, und der Leichengeruch war wüst, dennoch hatte für Goldmund das alles eine tiefe Anziehungs-kraft, es war alles voll Größe und Schicksal, so wahr, so unverlogen, irgend etwas daran gewann seine Liebe und drang ihm in die Seele.
    Mittlerweile fing draußen Robert an zu rufen, ungeduldig und ängstlich. Goldmund hatte Robert gern, dennoch dachte er in diesem Augenblick, wie sehr doch eigentlich ein lebender Mensch in seiner Angst, seiner Neugierde, seiner ganzen Kinderei kleinlich und gering sei im Vergleich mit den Toten. Er gab Robert keine Antwort, er gab sich ganz dem Anblick der Toten hin, mit jener sonderbaren Mischung von herzlichem Mitfühlen und kalter Beob-achtung, wie die Künstler sie haben. Er sah sich die liegenden Gestalten und auch die sitzende genau an, die Köpfe, die Hände, die Bewegung, in der sie erstarrt waren. Wie still war es in dieser verzauberten Hütte! Wie roch es sonderbar und schrecklich! Wie war diese kleine

Weitere Kostenlose Bücher