Narziss Und Goldmund
Aber wenn es auch nicht die Pest ist, dein Gesicht ist anders geworden. War es so schlimm, was du dort drinnen gesehen hast?«
»Es war nicht schlimm«, sagte Goldmund zögernd »Ich habe dort drinnen nichts gesehen als das, was mir und dir und allen bevorsteht, auch wenn wir nicht die Pest bekommen.«
Im Weiterwandern stießen sie bald überall auf den Schwarzen Tod, der im Land regierte. Manche Dörfer lie-
ßen keinen Fremden ein, in anderen konnten sie ungehin-dert durch alle Gassen gehen. Viele Höfe standen verlassen, viele unbeerdigte Tote verwesten auf dem Felde oder in den Stuben. In den Ställen brüllten ungemolken oder hungernd die Kühe, oder das Vieh lief wild im Felde. Sie molken und fütterten manche Kuh und Ziege, sie schlach-teten und brieten am Waldrand manches Zicklein und Fer-kel und tranken Wein und Most aus manchem herrenlos gewordenen Keller. Sie hatten ein gutes Leben, es herrschte Überfluß. Aber er schmeckte ihnen nur halb. Robert lebte in immerwährender Angst vor der Seuche, und beim An-214
blick der Leichen wurde ihm übel, oft war er ganz verstört von Furcht, immer wieder glaubte er sich angesteckt, hielt Kopf und Hände lang in den Rauch ihrer Lagerfeuer (das galt für heilsam), tastete sogar im Schlaf an sich herum, ob nicht an den Beinen, an den Armen, unter den Achseln die Beulen kamen.
Goldmund schalt ihn oft, oft spottete er ihn aus. Er teilte seine Furcht nicht, und auch nicht seinen Ekel, er ging gespannt und düster durch das Todesland, furchtbar angezogen vom Anblick des großen Sterbens, die Seele voll vom großen Herbst, das Herz schwer vom Lied der mähenden Sense. Manchmal erschien ihm das Bild der ewigen Mutter wieder, ein bleiches Riesengesicht mit Medusenaugen, mit einem schweren Lächeln voll Leid und Tod.
Sie kamen einst zu einer kleinen Stadt, sie war schwer befestigt, vom Tor lief ein Wehrgang in Haushöhe um die ganzeStadtmauer, aber kein Wächter stand oben und keiner im offenstehenden Tor. Robert weigerte sich, die Stadt zu betreten, und beschwor auch seinen Kameraden, es nicht zu tun. Indem hörten sie eine Glocke läuten, es kam zum Tor ein Priester heraus, ein Kreuz in den Händen, und hinter ihm kamen drei Lastwagen gefahren, zwei mit Pferden bespannt und einer mit einem Paar Ochsen, und die Wagen waren bis oben angefüllt mit Leichen. Ein paar Knechte in sonderbaren Mänteln, die Gesichter tief in Kapu-zen verborgen, liefen nebenher und trieben die Tiere an.
Robert verlor sich mit bleichem Gesicht, Goldmund folgte den Totenwagen in kleiner Entfernung, es ging ein paar hundert Schritt weit, und da war kein Friedhof, sondern mitten in der leeren Heide war ein Loch gegraben, nur drei Spatenstiche tief, aber groß wie ein Saal. Goldmund stand und sah zu, wie die Knechte mit Stangen und Bootshaken die Toten von den Wagen rissen und sie zu Haufen in das große Loch stießen, wie der Priester mur-215
melnd sein Kreuz darüber schwang und davonging, wie die Knechte auf allen Seiten des flachen Grabes große Feuer anzündeten und schweigend in die Stadt zurückliefen, ohne daß jemand darangegangen wäre, die Grube zuzu-werfen. Er schaute hinab, es mochten fünfzig oder mehr da drinnen liegen, übereinandergeschmissen, viele nackt.
Starr und klagend ragte hier und dort ein Arm oder ein Bein in die Luft, ein Hemde flatterte schwach im Wind Als er zurückkam, flehte Robert ihn beinah auf Knien an, sie möchten doch eiligst weiterziehen. Er hatte wohl Grund zu seinem Flehen, er sah in Goldmunds abwesen-dem Blick diese ihm nun schon allzu bekannte Versunkenheit und Starre, dies Hingewendetsein zum Schrecklichen, diese furchtbare Neugierde. Es gelang ihm nicht, seinen Freund zurückzuhalten. Allein ging Goldmund in die Stadt.
Er ging durchs unbewachte Tor, und indem er seinen Schritt vom Pflaster widerhallen hörte, standen in seinem Gedächtnis viele Städtchen und viele Tore auf, durch welche er so gewandert war, und er erinnerte sich, wie da Kindergeschrei, Knabenspiel, Weibergezank, Schmiedege-hämmer auf schönklingendem Amboß, Wagengerassel
und viele andere Klänge ihn empfangen hatten, feine und derbe Geräusche, deren Durcheinander wie zu einem Netz geflochten das Vielerlei menschlicher Arbeit, Freude, Ver-richtung und Geselligkeit verkündet hatte. Hier nun, in diesem hohlen Tor und dieser leeren Gasse, klang nichts, lachte nichts, schrie nichts, alles lag erstarrt in Todes-schweigen, worin die plaudernde Melodie eines laufenden Brunnens allzu laut
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