Narziss Und Goldmund
ihn besonders nachdenklich. Er hatte den Blick aufgefangen, mit dem Lene ihn ansah, als er den toten Kerl geschüttelt und weggeworfen hatte. Ein merkwürdiger Blick war das gewesen, er wußte, daß er ihn nie vergessen würde: aus aufgerissenen, entsetzten und entzückten Augen hatte da ein Stolz, ein Triumph gestrahlt, eine tiefe leidenschaftliche Mitlust am Rächen und Töten, wie er sie in einem Frauengesicht nie gesehen und nie geahnt hatte. Wäre dieser Blick nicht gewesen, dachte er, so würde er vielleicht Lenes Gesicht spater einmal, mit den Jahren, vergessen haben. Dieser Blick hatte ihr Bauernmädchengesicht groß, schön und 226
schrecklich gemacht. Seit Monaten hatten seine Augen nichts erlebt, das ihn mit dem Wunsch durchzuckte »Das mußte man zeichnen!« Bei jenem Blick hatte er, mit einer Art von Schrecken, diesen Wunsch wieder zucken gefühlt.
Da er nicht schlafen konnte, stand er schließlich auf und ging aus der Hütte. Es war kühl, ein wenig Wind spielte in den Birken. Im Dunkeln ging er auf und ab, setzte sich dann auf einen Stein, saß und versank in Gedanken und in tiefe Traurigkeit. Es tat ihm leid um Viktor, es tat ihm leid um den, den er heut erschlagen hatte, es tat ihm leid um die verlorene Unschuld und Kindheit seiner Seele. War er darum aus dem Kloster fortgegangen, hatte Narziß verlassen, hatte den Meister Niklaus beleidigt und auf die schö-
ne Lisbeth verzichtet – um nun da in einer Heide zu lagern, verlaufenem Vieh aufzulauern, und um dort in den Steinen diesen armen Kerl totzuschlagen? Hatte das alles Sinn, war es wert, gelebt zu werden? Eng wurde ihm das Herz vor Unsinn und Selbstverachtung. Er ließ sich zurücksinken, lag auf den Rucken gestreckt und starrte in das bleiche Nachtgewölk, im langen Starren vergingen ihm die Gedanken, er wußte nicht, blickte er ins Gewölk des Himmels oder in die trübe Welt seines eigenen Innern. Plötzlich, im Augenblick, da er auf dem Stein entschlief, erschien hin-zuckend wie ein Wetterleuchten im treibenden Gewölk bleich ein großes Gesicht, das Eva-Gesicht, es blickte schwer und verhangen, plötzlich aber riß es die Augen weit auf, große Augen voll Wollust und voll Mordlust.
Goldmund schlief, bis der Tau ihn näßte.
Andern Tags war Lene krank. Man ließ sie liegen, es gab viel zu tun. Robert hatte am Morgen zwei Schafe im Wäldchen angetroffen, die alsbald vor ihm davonflohen. Er holte Goldmund, sie jagten mehr als den halben Tag und fingen eins der Schafe ein, sie waren sehr müde, als sie gegen Abend mit dem Tier zurückkamen. Lene fühlte sich sehr 227
schlecht. Goldmund beschaute und befühlte sie und fand Pestbeulen. Er verheimlichte es, aber Robert schöpfte Verdacht, als er horte, Lene sei noch krank, und blieb nicht in der Hütte. Er werde sich draußen eine Schlafstelle suchen, sagte er, und die Ziege nehme er auch mit, auch sie könnte angesteckt werden
»So schere dich zum Teufel«, schrie Goldmund ihn wü-
tend an, »ich begehre dich nicht wiederzusehen.« Die Ziege packte er und nahm sie zu sich hinter die Ginsterwand.
Lautlos verlor sich Robert, ohne Ziege, ihm war übel vor Angst, Angst vor der Pest, Angst vor Goldmund, Angst vor der Einsamkeit und Nacht. Er legte sich nahe der Hütte nieder.
Goldmund sagte zu Lene »Ich bleibe bei dir, mach dir keine Sorgen. Du wirst schon wieder gesund werden.«
Sie schüttelte den Kopf.
»Nimm dich in acht, Lieber, daß du nicht auch die Krankheit kriegst, du darfst nicht mehr so nahe zu mir herkommen. Gib dir keine Mühe, mich zu trösten. Ich muß sterben, und es ist mir lieber zu sterben, als daß ich eines Tages sehen muß, daß dein Lager leer ist und du mich verlassen hast. Jeden Morgen habe ich daran gedacht und mich gefürchtet. Nein, ich sterbe lieber.«
Am Morgen stand es schon schlecht mit ihr. Goldmund hatte ihr von Zeit zu Zeit einen Schluck Wasser gegeben, hatte zwischenein eine Stunde geschlafen. Jetzt beim Hellwerden erkannte er in ihrem Gesicht deutlich den nahen Tod, es war schon so welk und mürbe. Er trat für einen Augenblick aus der Hütte, um Luft zu schöpfen und nach dem Himmel zu sehen. Ein paar krumme rote Kiefernstämme am Waldrand leuchteten schon sonnig, frisch und süß schmeckte die Luft, die fernen Hügel waren noch unsichtbar im Morgengewölk.
Er ging eine kleine Strecke weit, reckte die müden Glieder und holte tief Atem. Schön war die Welt an diesem traurigen 228
Morgen. Nun würde bald die Wanderschaft wieder beginnen.
Es galt
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