Narziss Und Goldmund
Abschied zu nehmen.
Vom Walde her rief Robert ihn an. Ob es besser gehe?
Wenn es nicht die Pest sei, bleibe er da, Goldmund möge ihm doch nicht böse sein, er habe inzwischen das Schaf gehütet.
»Geh zur Hölle samt deinem Schaf« rief Goldmund ihm zu, »Lene liegt im Sterben, und auch ich bin angesteckt.«
Das letzte war gelogen, er sagte es, um den andern loszuwerden. Mochte dieser Robert ein gutherziger Kerl sein, Goldmund hatte genug von ihm, er war ihm zu feig und zu klein, er paßte ihm allzu schlecht in diese Zeit voll Schicksal und Erschütterung. Robert verlor sich und kam nicht wieder. Hell kam die Sonne herauf.
Als er wieder zu Lene kam, lag sie schlafend. Auch er schlief nochmals ein, im Traum sah er sein einstiges Pferd Bleß und den schönen Klosterkastanienbaum, ihm war zumute, als blicke er aus unendlicher Ferne und Öde auf eine verlorene holde Heimat zurück, und als er erwachte, liefen ihm Tränen über die blondbärtigen Wangen. Mit schwacher Stimme hörte er Lene sprechen; er glaubte, sie rufe ihn, und stemmte sich auf seinem Lager hoch, aber sie sprach zu niemand, sie lallte nur Worte vor sich hin, Koseworte, Schimpfworte, lachte ein wenig, begann alsdann schwer zu seufzen und zu schlucken und wurde allmählich wieder still. Goldmund stand auf, beugte sich über ihr schon entstelltes Gesicht, mit bitterer Neugierde folgte sein Auge den Linien, die sich unterm sengenden Hauch des Todes so elend verbogen und verwirrten. Liebe Lene, rief sein Herz, liebes gutes
Kind, willst auch du mich schon verlassen? Hast du schon genug von mir?
Gern wäre er davongelaufen. Wandern, wandern, mar-schieren, Luft atmen, müde werden, neue Bilder sehen, das 229
hätte ihm wohlgetan, das würde vielleicht seine tiefe Bedrücktheit lindern. Aber er konnte nicht, es war ihm unmöglich, das Kind hier allein liegen und sterben zu lassen. Kaum traute er sich, alle paar Stunden für eine Weile hinauszugehen, um frische Luft zu atmen. Da Lene keine Milch mehr annahm, trank er sich selbst daran satt, sonst war nichts zu essen da. Auch die Ziege führte er einige Male hinaus, daß sie fresse, Wasser trinke und sich bewege.
Dann stand er wieder an Lenes Lager, murmelte ihr zärtlich zu, blickte unentwegt in ihr Gesicht und sah trostlos, aber aufmerksam ihrem Sterben zu. Sie war bei Bewußtsein, zuweilen schlief sie, und wenn sie erwachte, öffnete sie die Augen nur noch halb, die Lider waren müd und erschlafft. Hier um die Augen und die Nase herum sah das junge Mädchen von Stunde zu Stunde älter aus, auf dem frischen jungen Hals saß ein schnell welkendes Groß-
muttergesicht. Sie sprach nur selten ein Wort, sagte »Goldmund« oder »Liebster« und suchte die geschwollenen bläulichen Lippen mit der Zunge zu befeuchten. Dann gab er ihr ein paar Tropfen Wasser.
In der folgenden Nacht starb sie. Sie starb, ohne zu klagen, es war nur ein kurzes Zucken, dann stand der Atem still, und es lief ein Hauch über die Haut, bei dem Anblick wogte ihm das Herz, und es fielen ihm die sterbenden Fische ein, die er oft auf dem Fischmarkt gesehen und be-dauert hatte: gerade so waren sie erloschen, mit einem Zuck und mit einem leisen wehen Schauder, der über ihre Haut lief und den Glanz und das Leben mitnahm. Er kniete noch eine Weile neben Lene, dann ging er ins Freie und setzte sich in die Heidekrautbüsche. Die Ziege fiel ihm ein, er ging nochmals hinein und holte das Tier heraus, das sich nach kurzem Herumsuchen zu Boden legte. Er legte sich neben sie, den Kopf auf ihrer Flanke, und schlief, bis es hell wurde Nun ging er zum letztenmal in die Hütte und 230
hinter die geflochtene Wand, sah zum letztenmal das arme Totengesicht. Es widerstrebte ihm, die Tote da liegenzu-lassen. Er ging und suchte Arme voll Dürrholz und welkes Gestrüpp zusammen, das warf er in die Hütte, schlug Feuer und zündete an. Aus der Hütte nahm er nichts mit sich als das Feuerzeug. Hellauf brannte im Augenblick die dür-re Ginsterwand. Draußen blieb er stehen und schaute zu, das Gesicht vom Feuer gerötet, bis auch das ganzeDach in Flammen stand und die ersten Dachbalken stürzten.
Ängstlich und klagend sprang die Ziege. Es wäre richtig gewesen, das Tier zu töten und ein Stück von ihm zu rösten und zu essen, um Kraft für die Wanderschaft zu haben.
Aber es war ihm nicht möglich, er trieb die Geiß in die Heide und ging davon. Bis in den Wald hinein folgte ihm der Rauch von der Brandstelle. Nie hatte er eine Wanderung so trostlos
Weitere Kostenlose Bücher