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Narziss Und Goldmund

Narziss Und Goldmund

Titel: Narziss Und Goldmund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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angetreten.
    Und dennoch war das, was ihn nun erwartete, noch
    schlimmer, als er gedacht hatte. Bei den ersten Höfen und Dörfern begann es und dauerte an und wurde ärger, je weiter er kam. Die ganze Gegend, das ganze weite Land stand unter einer Wolke von Tod, unter einem Schleier von Grauen, Angst und Seelenverfinsterung, und das Schlimmste waren nicht die ausgestorbenen Häuser, die an der Kette verhungerten und verwesenden Hofhunde, die unbegraben liegenden Toten, die bettelnden Kinder, die Massengräber vor den Städten. Das Schlimmste waren die Lebenden, die unter der Last von Schrecken und Todesangst ihre Augen und ihre Seelen verloren zu haben schienen. Wunderliche und grausige Dinge bekam der Wanderer überall zu hören und zu sehen. Eltern hatten die Kinder und Gatten ihre Frauen verlassen, wenn sie krank geworden waren. Die Pestknechte und Spitalbüttel herrschten wie Henker, sie raubten in den leergestorbenen Häusern, ließen nach ihrer Willkür bald die Leichen unbeerdigt, bald ris-231
    sen sie die Sterbenden, noch eh sie ausgeatmet hatten, aus den Betten und auf die Leichenkarren. Geängstete Flüchtlinge irrten einsam umher, verwildert, jede Berührung mit Menschen meidend, von Todesfurcht gejagt Andere taten sich in aufgepeitschter, erschreckter Lebenslust zusammen, hielten Zechgelage und feierten Tanz- und Liebes-feste, bei denen der Tod die Fiedel strich. Verwahrlost, trauernd oder lästernd, mit irren Augen hockten andere vor den Friedhöfen oder vor ihren entvölkerten Häusern.
    Und, schlimmer als alles: jeder suchte für das unerträgliche Elend einen Sündenbock, jeder behauptete die Ver-ruchten zu kennen, die an der Seuche schuld und ihre bös-willigen Urheber seien. Teuflische Menschen, hieß es, sorgten schadenfroh für die Verbreitung des Sterbens, indem sie aus den Pestleichen das Seuchengift holten und an die Mauern und Türklinken strichen, Brunnen und Vieh damit vergifteten. Wer in den Verdacht dieser Greuel kam, war verloren, wenn er nicht gewarnt wurde und fliehen konnte; er wurde entweder von der Justiz oder vom Pöbel mit dem Tod bestraft. Außerdem gaben die Reichen den Armen die Schuld und umgekehrt, oder es sollten die Juden sein, oder die Welschen, oder die Ärzte. In einer Stadt sah Goldmund mit grimmigem Herzen zu, wie die ganze Judengasse brannte, Haus an Haus, rundum stand das joh-lende Volk, und die schreienden Flüchtlinge wurden mit Waffengewalt ins Feuer zurückgejagt. Im Irrsinn der Angst und Erbitterung wurden überall Unschuldige totgeschlagen, verbrannt, gefoltert. Mit Wut und Ekel sah Goldmund zu, die Welt schien zerstört und vergiftet, es schien keine Freude, keine Unschuld, keine Liebe mehr auf Erden zu geben. Oft floh er zu den heftigen Festen der Lebenslusti-gen, überall klang die Fiedel des Todes, er lernte ihren Klang bald kennen, oft nahm er teil an den verzweifelten Gelagen, oft spielte er dabei die Laute oder tanzte beim 232
    Pechfackelschein durch fiebernde Nächte mit.
    Furcht fühlte er nicht. Einst hatte er die Todesangst gekostet, in jener Winternacht unter den Tannen, als Viktors Finger um seine Kehle gedrückt lagen, und auch im Schnee und Hunger manches harten Wandertages. Das war ein Tod gewesen, mit dem man kämpfen, gegen den man sich zur Wehr setzen konnte, und er hatte sich gewehrt, mit zit-ternden Händen und Füßen, mit klaffendem Magen, mit erschöpften Gliedern, hatte sich gewehrt, hatte gesiegt und war entkommen. Mit diesem Pesttod aber war nicht zu kämpfen, man mußte ihn toben lassen und sich ergeben, und Goldmund hatte sich längst ergeben. Er hatte keine Furcht, es schien, als sei ihm nichts mehr am Leben gelegen, seit er Lene in der brennenden Hütte zurückgelassen hatte, seit er Tag um Tag durch das vom Tod verheerte Land zog. Aber eine ungeheure Neugierde trieb ihn und hielt ihn wach, er war unermüdlich, dem Schnitter zuzuse-hen, das Lied der Vergänglichkeit zu hören, nirgends wich er aus, überall ergriff ihn dieselbe stille Leidenschaft, dabei zu sein und mit wachen Augen den Gang durch die Hölle zu tun. Er aß verschimmeltes Brot in ausgestorbenen Häusern, er sang und zechte. Wein bei den wahnsinnigen Gelagen, pflückte die schnell welkende Blume der Lust, sah in die starren trunkenen Augen der Weiber, sah in die starren blöden Augen der Betrunkenen, sah in die erlosch-enden Augen der Sterbenden, liebte die verzweifelten fie-bernden Frauen, half Tote hinaus tragen für einen Teller Suppe, half für zwei Groschen

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