Narziss und Goldmund
wenn sie krank geworden waren. Die Pestknechte und Spitalbüttel herrschten wie Henker, sie raubten in den leergestorbenen Häusern, ließen nach ihrer Willkür bald die L eichen unbeerdigt, bald ris sen sie die Sterbenden, noch eh sie ausgeatmet hatten, aus den Betten und auf die Leichenkarren. Geängstete Flüchtlinge irrten einsam umher, verwildert, jede Berührung mit Menschen meidend, von Todesfurcht gejagt Andere taten sich in aufgepeitschter, erschreckter Lebenslust zusammen, hielten Zechgelage und feierten Tanz— und Liebes feste, bei denen der Tod die Fiedel strich. Verwahrlost, trauernd oder lästernd, mit irren Augen hockten andere vor den Friedhöfen oder vor ihren entvölkerten Häusern.
Und, schlimmer als alles: jeder suchte für das unerträgliche Elend einen Sündenbock, jeder behauptete die Verruchten zu kennen, die an der Seuche schuld und ihre böswilligen Urheber seien. Teuflische Menschen, hieß es, sorgten schadenfroh für die Verbreitung des Sterbens, indem sie aus den Pestleichen das Seuchengift holten und an die Mauern und Türklinken strichen, Brunnen und Vieh damit vergifteten. Wer in den Verdacht dieser Greuel kam, war verloren, wenn er nicht gewarnt wurde und fliehen konnte; er wurde entweder von der Justiz oder vom Pöbel mit dem Tod bestraft. Außerdem gaben die Reichen den Armen die Schuld und umgekehrt, oder es sollten die Juden sein, oder die Welschen, oder die Ärzte. In einer Stadt sah Goldmund mit grimmigem Herzen zu, wie die ganze Judengasse brannte, Hau s an Haus, rundum stand das joh lende Volk, und die schreienden Flüchtlinge wurden mit Waffengewalt ins Feuer zurückgejagt. Im Irrsinn der Angst und Erbitterung wurden überall Unschuldige totgeschlagen, verbrannt, gefoltert. Mit Wut und Ekel sah Goldmund zu, die Welt schien zerstört und vergiftet, es schien keine Freude, keine Unschuld, keine Liebe mehr auf Erden zu geben. Oft floh er zu den heftigen Festen der Lebenslusti gen, überall klang die Fiedel des Todes, er lernte ihren Klang bald kennen, oft nahm er teil an den verzweifelten Gelagen, oft spielte er dabei die Laute oder tanzte beim Pechfackelschein durch fiebernde Nächte mit.
Furcht fühlte er nicht. Einst hatte er die Todesangst gekostet, in jener Winternacht unter den Tannen, als Viktors Finger um seine Kehle gedrückt lagen, und auch im Schnee und Hunger manches harten Wandertages. Das war ein Tod gewesen, mit dem man kämpfen, gegen den man sich zur Wehr setzen konnte, und er hatte sich gewehrt, mit zit ternden Händen und Füßen, mit klaffendem Magen, mit erschöpften Gliedern, hatte sich gewehrt, hatte gesiegt und war entkommen. Mit diesem Pesttod aber war nicht zu kämpfen, man mußte ihn toben lassen und sich ergeben, und Goldmund hatte sich längst ergeben. Er hatte keine Furcht, es schien, als sei ihm nichts mehr am Leben gelegen, seit er Lene in der brennenden Hütte zurückgelassen hatte, seit er Tag um Tag durch das vom Tod verheerte Land zog. Aber eine ungeheure Neugierde trieb ihn und hielt ihn wach, er war un ermüdlich, dem Schnitter zuzuse hen, das Lied der Vergänglichkeit zu hören, nirgends wich er aus, überall ergriff ihn dieselbe stille Leidenschaft, dabei zu sein und mit wachen Augen den Gang durch die Hölle zu tun. Er aß verschimmeltes Brot in ausgestorbenen Häusern, er sang und zechte. Wein bei den wahnsinnigen Gelagen, pflückte die schnell welkende Blume der Lust, sah in die starren trunkenen Augen der Weiber, sah in die starren blöden Augen der Betrunkenen, sah in die erlöschenden Augen der Sterbende n, liebte die verzweifelten fie bernden Frauen, half Tote hinaus tragen für einen Teller Suppe, half für zwei Groschen Erde über nackte Leichen schütten. Es war dunkel und wild in der Welt geworden, heulend sang der Tod sein Lied, Goldmund hörte es mit offenen Ohren, mit brennender Leidenschaft.
Sein Ziel war die Stadt des Meisters Niklaus, dorthin zog ihn die Stimme in seinem Herzen. Lang war der Weg, und er war voll Tod, voll Welke und S terben. Traurig zog er hin, berauscht vom Todeslied, hingegeben an das laut schreiende Leid der Welt, traurig und dennoch glühend, mit weit offenen Sinnen.
In einem Kloster sah er ein neugemaltes Wandbild, das mußte er lange betrachten. Es war da der Totentanz an eine Mauer gemalt, da tanzte der bleiche knöcherne Tod die Menschen aus dem Leben, den König, den Bischof, den Abt, den Grafen, den Ritter, den Arzt, den Bauer, den Landsknecht, alle nahm er mit, und beinerne Musikanten
Weitere Kostenlose Bücher