Narziss und Goldmund
genug – ja, das war Lenes Stimme, und sie schrie wie in großer Not seinen Namen. Er lief rascher, noch immer etwas geärgert, bei ihren wiederholten Schreien aber nahmen Mitleid und Besorgnis in ihm überhand. Als er sie endlich sehen konnte, saß oder kniete sie in der Heide, mit ganz zerrissenem Hemde, und rang schreiend mit einem Mann, der sie vergewaltigen wollte. In langen Sprüngen kam Goldmund heran, und was an Ärger, Unruhe und Trauer in ihm gewesen, entlud sich in einer rasenden Wut gegen den fremden Attentäter.
Er überraschte ihn, wie er Lene vollends zu Boden drü cken wollte, ihre nackte Brust blutete, gierig hielt der Fremde sie umklammert. Goldmund warf sich auf ihn und preßte ihm mit wütenden Händen die Kehle zusammen, die sich hager un d sehnig anfühlte und mit wolli gem Bart bewachsen war. Mit Wonne drückte Goldmund zu, bis der andere das Mädchen losließ und ihm erschlafft in den Händen hing, weiter würgend schleifte er den Kraftlosen und halb Entseelten ein Stück am Boden fort bis zu einigen grauen Felsrippen, die da nackt aus der Erde standen. Hier hob er den Besiegten, so schwer er war, zweimal, dreimal hoch und ließ seinen Kopf auf die kanti gen Felsen schlagen. Mit gebrochenem Genick warf er den Körper weg, sein Zorn war noch nicht gesättigt, er hätte ihn noch weiter mißhandeln mögen.
Strahlend sah Lene zu. Ihre Brust blutete, und sie zitterte noch am ganzen Leibe und schnappte nach Luft, aber sie hatte sich alsbald aufgerafft und sah mit einem entrückten Blick voll Wollust und Bewunderung zu, wie ihr starker Geliebter den Eindringling dahinschleppte, wie er ihn würgte, wie er ihm das Genick brach und seinen Leichnam von sich schmiß. Wie eine totgeschlagene Schlange lag der Tote da, schlaff und verrenkt, sein graues Gesicht mit wüstem Bart und dünnen ärmlichen Haaren hing ihm jämmerlich hintenüber. Jubelnd richtete Lene sich auf und fiel Goldmund ans Herz, doch erbleichte sie plötzlich, der Schrecken lag ihr noch in den Gliedern, es wurde ihr übel, und sie sank erschöpft ins Blaubeerenkraut. Bald aber konnte sie mit Goldmund zur Hütte gehen. Goldmund wusch ihr die Brust, sie war zerkratzt, und die eine Brust hatte eine Bißwunde von den Zähnen des Unholds.
Robert regte sich sehr über das Abenteuer auf, hitzig fragte er nach den Einzelheiten des Kampfes.
»Das Genick gebrochen, sagst du? Großartig! Goldmund, man muß dich fürchten.«
Aber Goldmund mochte nicht weiter davon reden, er war jetzt kühl geworden, und im Weggehen von dem Toten hatte er an den armen Schnapphahn Viktor denken müssen, und daß es nun der zweite Mensch sei, der von seiner Hand gestorben war. Um Robert loszuwerden, sagte er:
»Nun konntest aber auch du etwas tun. Geh hinüber und schau, daß du die Leiche wegbringst. Wenn es zu schwer geht, ein Loch für sie zu machen, dann muß er in den Schilfsee hinübergetragen oder gut mit Steinen und Erde bedeckt werden.« Aber dies Ansinnen wurde abgelehnt, mit Leichen wollte Robert nichts zu tun haben, man wisse ja bei keiner, ob nicht das Pestgift in ihr stecke.
Lene hatte sich in der Hütte niedergelegt. Der Biß in der Brust schmerzte, doch fühlte sie sich bald besser, stand wieder auf, fachte Feuer an und kochte die Abendmilch, sie war sehr gut gelaunt, wurde aber früh zu Bett geschickt. Sie gehorchte wie ein Lamm, so sehr bewunderte sie Goldmund. Dieser war schweigsam und finster, Robert kannte das und ließ ihn in Ruhe. Als Goldmund spät seine Streu aufsuchte, bückte er sich horchend zu Lene hinab. Sie schlief. Er fühlte sich unruhig, dachte an Viktor, fühlte Bangigkeit und Wandertrieb, er spürte, daß es zu Ende sei mit dem Heimatspielen. Eines aber machte ihn besonders nachdenklich. Er hatte den Blick aufgefangen, mit dem Lene ihn ansah, als er den toten Kerl geschüttelt und weggeworfen hatte. Ein merkwürdiger Blick war das gewesen, er wußte, daß er ihn nie vergessen würde: aus aufgerissenen, entsetzten und entzückten Augen hatte da ein Stolz, ein Triumph gestrahlt, eine tiefe leidenschaftliche Mitlust am Rächen und Töten, wie er sie in einem Frauengesicht nie gesehen und nie geahnt hatte. Wäre dieser Blick nicht gewesen, dachte er, so würde er vielleicht Lenes Gesicht später einmal, mit den Jahren, vergessen haben. Dieser Blick hatte ihr Bauernmäd chengesicht groß, schön und schrecklich gemacht. Seit Monaten hatten seine Augen nichts erlebt, das ihn mit dem Wunsch durchzuckte »Das mußte man zeichnen!« Bei
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