Naschmarkt
schwindelig wird. Mit wackeligen Beinen sinke ich vor dem Waschbecken auf den Boden und stecke den Kopf zwischen die Knie. Eine Technik, die mir mein Hausarzt beigebracht hat, weil ich als Mädchen einige Jahre mit meinem Kreislauf zu kämpfen hatte und regelmäßig umkippte.
Ist das die normale Reaktion darauf, dass man soeben eine Liebeserklärung vom schönsten Mann Wiens bekommen hat? Ist es verkehrt, wenn man das Gefühl hat, gleich kotzen zu müssen? Verdammte Allergie!
Ramy Kareem und djfleming, diese beiden Dinge fügen sich in meinem schmerzenden Schädel immer noch nicht zusammen. Wie ist das möglich? Die Ereignisse der letzten zwei Wochen preschen mit Lichtgeschwindigkeit durch mein Hirn: die Loos mit ihrer Kolumne, Kleidermanns Kampfansage, Lorenz’ Chicken Tikka Masala, ein nicht unangenehmer Geruch nach Aftershave, Annili, die Mandeln isst, ein Turnschuh, ein Baum, das Riesenrad und ein Vogelhaus mit einem Origamivogel. Ein Mann mit Pferdekopf auf der Halloweenparty. Die Gloriette. Ramy Kareem mit einer Zeitung unter dem Arm. Und das Speeddating. Der Kuss. Ramys Kuss.
Als mein Blutdruck sich halbwegs normalisiert hat, stehe ich langsam auf, beuge mich über das Waschbecken und halte meine Unterarme unter den Strahl eiskalten Wassers. Mein Gesicht im Spiegel ist noch blasser als sonst, die Brille sitzt schief auf meiner Nase, der Lippenstift ist verwischt, und mein sorgfältig gebundener Pferdeschwanz ist total zerrupft. Eben die Zuversicht in Person, und jetzt?
Wie hat es so weit kommen können, Dotti Wilcek? Zwei Monate daten, und was ist aus der glücklichen, zufriedenen Mittdreißigerin geworden? Ein Häufchen lose Blätter, wie jene, die die Klotür innen tapezieren. Handzettel. Mit eingerissenen Ecken und verblasster Schrift.
»Das Schlossquadratfest. Special Guests: Mondscheiner«,
kündigt einer in Neongelb an. Ein anderer in Pink verrät, dass
im Gogo Nightclub heiße Girls auftreten«.
Mehrere Bunte werben für den samstäglichen Flohmarkt am Naschmarkt, für Biersorten, das Folienkartoffelwettessen im
Saloon,
und ein besonders hässlicher Grellgrüner verkündet die
»Rückkehr des Groucho Club«.
Fetzen von diversen Leben da draußen. Man könnte sie ablichten und eine Ausstellung damit machen: lose Blätter, die Zerfransung und Überklebung unserer Kultur.
Es klopft energisch.
»Dotti? Alles in Ordnung? Du bist schon über zehn Minuten da drin.«
Das war das zweite Alles-in-Ordnung innerhalb einer Viertelstunde. Sollte mir das zu denken geben? Unsinn. Er macht sich Sorgen. Er kümmert sich um mich. Vielleicht ist das genau das, was ich brauche?
»Klar«, rufe ich mit möglichst munterem Tonfall. »Ich mache mich nur ein wenig frisch.«
Ich lausche seinen Schritten, die sich entfernen. Genüsslich stelle ich mir vor, wie sich sämtliche Frauen, die an der Bar lehnen oder sich in den Stühlen räkeln, wie läufige Katzen nach ihm umdrehen und ihm auf den Hintern gaffen. Ein Hintern wie der eines griechischen Gottes. Wie er wohl in einer Badehose aussieht? Ich schüttle den Gedanken ab, binde energisch meinen Zopf neu, tupfe mir kaltes Wasser auf die Schläfen, hole tief Luft und öffne die Tür.
»Auw«, begrüßt uns der Kater, als ich die Tür zu meiner Wohnung schließe. Ramy tritt hinter mich, legt mir die Hände auf die Schultern und dreht mich mit sanfter Gewalt zu sich um. Die schummrige Beleuchtung in meinem Flur steht ihm ausgesprochen gut, sie lässt seinen Mund voller und sinnlicher aussehen und verleiht seinen Grübchen eine malerische Tiefe.
»Dotti«, flüstert er zärtlich und streicht mir durchs Haar. Seine dunklen Augen blicken tief in meine, und mir fällt ein, dass ich den Napf füllen sollte. Die Zeit steht beinahe still. Es ist ein Moment wie aus
Stolz und Vorurteil,
als sich Ramys perfekte Lippen meinen in Zeitlupe nähern.
»Auwauw«, gibt der Kater zu bedenken und furzt.
Ramy erstarrt mitten in der Kussposition, räuspert sich und geht wortlos an mir vorbei ins Wohnzimmer. Mit glühenden Wangen beeile ich mich, irgendeine Futterpackung aus dem Katzenfutterschrank zu holen und kippe eine hellbraune, glibberige Masse in Nekos Schüssel. Der Kater steckt die Schnauze hinein, hebt den Kopf und sieht mich betrübt an.
»Äh, willst du was trinken?«, frage ich Ramy, der unentschlossen neben der Couch steht, die Hände in den Hosentaschen vergraben.
Shit,
denke ich, mein Bett ist mit dem Disneys-Peter-Pan-Bettzeug überzogen. Ob ich schnell ins
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