Nashira
Weg ein, der ihn zu seinem Unterschlupf führen würde, und bald war von dem Weinen kaum noch etwas zu hören. Dann jedoch nahm er einen anderen Laut wahr, ein Geräusch, als würde Metall am Fels schaben. Ein unverwechselbares Geräusch, das für ihn mit dem Schmerz vergangener Zeiten verbunden war.
Und plötzlich kamen ihm Zweifel, weil dieser Ton leidvolle Erinnerungen weckte.
Er blieb stehen.
Eine Weile stand er so da, eine Hand krampfhaft in den Fels gekrallt, während der Wind hinter ihm durch die Ritzen pfiff.
Dann stieß er einen wütenden Fluch aus und setzte sich wieder in Bewegung – jedoch in die Richtung, aus der er gekommen war. Rasch lief er durch die Gänge, die er so gut wie niemand sonst kannte, und währenddessen wurden immer mehr Erinnerungen wach, überkamen ihn in so großer Zahl, dass es ihm davon in den Schläfen pochte. Er hatte immer geglaubt, irgendwann alles vergessen zu können. Aber so war es nicht. Er erinnerte sich an jeden einzelnen Tag, jeden Augenblick.
Das Weinen, jetzt schon ganz nahe, war in heftiges Schluchzen übergegangen.
An die Felswand gepresst, reckte er nur den Kopf vor, um zu sehen, wer das war.
Das sah er ein Mädchen am Boden knien, mit einem Gesicht von heller Farbe, das aber von dunkleren Striemen durchzogen war. Ein Junge, wohl in ihrem Alter, der der Sklavenrasse angehörte, lag schwer atmend vor ihr. Vor allem aber sah er, was das Mädchen in der Hand hielt. Ein Schwert. Sein Schwert. Als er sich weiter vorlehnte, löste sich ein Eisbröckchen von der Wand und fiel klirrend zu Boden. Das Mädchen sprang auf.
»Wer ist da?«, rief sie, das Schwert vorgereckt.
Im Nu war er bei ihr, packte ihr Handgelenk und drehte es um, sodass das Schwert zu Boden fiel. Alles in einer einzigen fließenden Bewegung. Das Mädchen riss Augen und Mund auf, doch rasch presste er ihr die Hand auf die Lippen.
»Psst. Wenn du schreist, wird man euch finden.«
»Du bist es ...«, murmelte sie.
»Kennst du mich etwa?«
Das Mädchen nickte. »Du bist der Ketzer aus der Wüste.«
»Dann kannst du mir wohl auch sagen, wo du das Schwert gefunden hast, mit dem du auf mich losgehen wolltest.«
»Wieso? Was ist damit?«
Der Ketzer lächelte und musterte sie mit seinen strahlend grünen Augen. »Es ist mein Schwert.«
Talitha starrte ihn fassungslos an. »Verba...«, raunte sie.
GLOSSAR
Abendrotgebirge
Mächtige Gebirgskette, die sich im Westen zwischen dem Reich des Sommers und dem Reich des Frühlings erhebt
Alepha
Stadt im Reich des Herbstes
Antiker Krieg
Kriegerischer Konflikt, in dessen Verlauf die Femtiten von den Talariten versklavt wurden
Anyas
Mutter von Saiph, in Folge eines Unfalls verstorben
Arnika
Heilerin des Klosters von Messe
Aruna
Königin des Reiches des Sommers
Baumpfade
Verkehrswege in Talaria; sie bestehen aus verflochten Talareth-Ästen und bilden die einzigen Verbindungen zwischen allen Ansiedlungen der vier Reiche
Beata
Sagenhafte Stadt, die in den Mythen sowohl der Talariten als auch der Femtiten eine bedeutende Rolle spielt. Für Letztere
ist Beata ein Ort des Glücks in der Wüste, an dem die Femtiten noch frei leben können
Beris
Sklavin im Kloster von Messe
Bleri
Händler, der verbotenerweise Luftkristalle verkauft
Ceryan
Alter Sklave im Kloster von Messe
Cetus
Eine der beiden Sonnen Nashiras. In der Mythologie eine zerstörerische Gottheit und Ursprung alles Bösen
Danyria
Festung und Gefängnis im Reich des Winters
Dorothea
Erzieherin im Kloster von Messe, unterrichtet die Grundlagen und Gebote des Glaubens
Dynaer
Saiphs Großmutter
Eisgebirge
Gebirgskette im Reich des Winters, größtes Abbaugebiet für Eis in Talaria
Erste
Bewohner Talarias vor dem epochalen Kampf zwischen Mira und Cetus, in dessen Verlauf das Geschlecht der Ersten ausgelöscht wurde
Erzieherinnen
Priesterinnen, die sich um die Ausbildung der Novizinnen kümmern
Es
Magiern innewohnende Kraft, die zur Ausübung von Zaubern befähigt
Essenzen
Niedere Gottheiten, Dienerinnen von Talia, Kerya, Man und Van
Femtiten
Unterdrückte Rasse auf Nashira. Femtiten besitzen eine helle Haut, längliche Augen und Haare in verschiedensten Grüntönen. Sie können keine Zauber ausüben und empfinden keinen körperlichen Schmerz. Nur der Kontakt mit dem Luftkristallsplitter auf dem Strafstock löst heftigste Schmerzen bei ihnen aus.
Fonia
Erzieherin im Kloster von Messe,
Weitere Kostenlose Bücher