Nasses Grab
Mann, der die Hände vor sich verschränkt hatte, den Blick auf sein vor ihm stehendes leeres Glas gerichtet.
»Sie war Ihre Tochter, Herr Oberst.«
Der Kopf des Obersts fuhr auf. Er starrte Anděl an. Die Farbe wich aus seinem Gesicht. Spiel, Satz und Sieg, dachte David. Der Staatsanwalt war ein Ass.
»Lenka war ein uneheliches Kind«, fuhr Anděl fort. »Ihre Mutter ist früh gestorben. Sie wuchs bei ihrer Großmutter auf. Von ihrem Vater weiß man nur, er sei Polizist oder Soldat gewesen und habe sich nie wieder blicken lassen. Aber ab und zu haben die beiden Besuch bekommen, ein Freund der Familie, wie es hieß. Das waren Sie. Nur waren Sie weit mehr als ein Freund. Sie waren Lenkas Vater.«
»Die Fantasie geht mit Ihnen durch, Herr Kommissar«, sagte der Oberst und verzog sein Gesicht zu einem ironischen Lächeln. Doch seine Stimme zitterte. »Wie kommen Sie auf so etwas Verrücktes?«
»Als Lenka angeblich in den Westen abgehauen ist, hat eine Freundin ihre Sachen aus ihrer Wohnung geholt. Diese Freundin hat uns übergeben, was sie noch von Lenka hatte. Eine Schachtel mit persönlichen Papieren, Fotos, Tagebüchern. Sie tauchen prominent darin auf, Herr Oberst.«
»Eine Freundin?«, fragte der Oberst matt.
Anděl nickte.
»Lída Karafiátová. Sie war eine gute Freundin von Lenka. Sie wusste, dass Lenka vorhatte, im Westen zu bleiben. Lenka wollte mit Krasnohorský fort – das haben Sie vereitelt, als Sie ihn nicht nach Malta ließen. Als sie dann fort war und nicht zurückkam, haben Sie ihm doch noch geholfen – nicht nur wegen der Sache mit Ihrem Sohn, sondern auch um Lenkas willen. Und Lída Karafiátová hat Lenkas persönliche Papiere aus der Wohnung geholt, für den Fall, dass Lenka später etwas davon brauchen sollte. Aber Lenka hat sich nie wieder bei der Karafiátová gemeldet.«
Der Oberst wischte sich mit einer Hand über die Augen. Er seufzte. Lange blieb es still in dem Raum.
»Sie hat mein kleines Mädchen getötet«, sagte der Oberst schließlich mit heiserer Stimme, »sie hat sie erschlagen wie einen Hund.« Er blickte zu Anděl auf. Tränen glänzten in seinen alten Augen. »Sie war alles, was mir geblieben ist – von ihrer Mutter.« Er schwieg einen Moment. »Ich war damals verheiratet, als ich Lenkas Mutter kennenlernte. Sie war eine bezaubernde Frau. Ich habe sie geliebt, aber sie wollte mehr als ein Verhältnis. Sie verließ mich. Dann schrieb sie mir, als Lenka zur Welt gekommen war. Ich fuhr zu ihr, sagte ihr, dass ich mich scheiden lassen würde. Bevor ich mit meiner Frau sprechen konnte, starb sie. Ein Verkehrsunfall. Lenka war nur ein paar Wochen alt. Sie war alles, was mir von Eva geblieben ist. Lenka blieb bei ihrer Großmutter. Ich habe sie besucht, sooft ich konnte. Sie war ganz wie ihre Mutter. Meine kleine Prinzessin …« Die Stimme des Obersts brach. Er senkte den Kopf.
»Deshalb haben Sie Alena Freeman, alias Dana Volná, aufgelauert. In der Metro.«
Der Oberst nickte.
»Lenka wollte schon immer in den Westen. Ich war dagegen – ich wollte sie nicht auch noch verlieren. Als sie sich in Honza verliebte, war ich nicht begeistert. Ich kannte ihn ja. Leider viel zu gut. Ein charmanter Kerl, intelligent, aber ein Opportunist. Ich wusste, dass er nicht aus Überzeugung für uns arbeitete. Es war das Geld und die vielen Reisen. Nun, die beiden haben geheiratet und mich vor vollendete Tatsachen gestellt. Lenka wollte ihre kranke Großtante in Österreich besuchen, und ich habe dafür gesorgt, dass sie ausreisen durfte. Honza hatte sich auf den Posten in Malta beworben. Mein Sohn ebenfalls. Honza hatte die besseren Karten, aber ich habe Venca durchgeboxt. Ich dachte, Lenka würde zurückkommen, wenn Honza nicht ins Ausland dürfte. Dann passierte diese schreckliche Sache. Honza kam zu mir und sagte mir, was mein Sohn angestellt hätte. Er sagte, es sei ein Unfall gewesen, aber die Volná sei tot, er habe die Leiche verschwinden lassen. Er brauchte meine Hilfe. Wir streuten das Gerücht mit ihrem Unfalltod, er stellte die Urne in das Grab auf dem Friedhof.« Der alte Mann schwieg einen Moment. »Ich wusste, dass meine Tochter ihn liebte – ich wollte ihrem Glück nicht im Weg stehen. Also habe ich ihm geholfen abzuhauen. Dann habe ich lange nichts mehr gehört – weder von Lenka noch von ihm. Schließlich habe ich ihn in Kanada aufgestöbert, und er sagte, er habe Lenka nicht mehr gesehen – seit Prag. Sie sei verschwunden. Er schwor, er wisse nicht, wo sie sei,
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