Nasses Grab
Polizei gerufen, den Notruf. Ich wollte nicht, dass sie stirbt. Ich wollte sie nicht töten – es war ein Unfall!« Sie sah ihn flehend an.
Vielleicht. Vielleicht war es tatsächlich so gewesen. Er sah sie zweifelnd an. Sie hatte Krasnohorský geholfen, die Leiche zu beseitigen, hatte sich diese makabre Beseitigung der Leiche ausgedacht. Sie hatte auf Krasnohorský geschossen, weil er sie verlassen und ausgenutzt hatte. Sie hatte Dana Volná in Horas Haus erkannt und nach all den Jahren entdeckt, dass diese Frau, die sie so bewundert hatte, ihre Freundin Lenka getötet hatte. Hatte Markéta Kousalová tatsächlich nur mit Dana reden wollen? Oder war sie dorthin gegangen, um sie zu töten? Um den Mord an ihrer Freundin zu rächen? Um sich für die jahrelangen Albträume zu rächen, die diese Nacht damals ihr beschert hatte? Er wusste es nicht. Es mochte ein Unfall gewesen sein. Oder kaltblütiger Mord. Dana hatte sich das Genick gebrochen bei dem Sturz – aber wäre sie gestürzt, wenn nicht in diesem Moment jemand auf sie geschossen hätte? Auch das wusste er nicht. Andererseits war es auch denkbar, dass Markéta Kousalová nur knapp ihrem Tod entgangen war. Daran hatte sie offensichtlich noch gar nicht gedacht. Warum sonst hätte Dana, alias Alena, sie anrufen und zu einem abendlichen Stelldichein bestellen sollen? Hätte der unbekannte Schütze nicht eingegriffen, hätte an dem Abend möglicherweise Markéta Kousalová tot unter der Treppe gelegen.
Aber, dachte er, es könnte auch ganz anders gewesen sein. Bisher hatte er nur ihre Aussage dafür, dass Dana Volná in jener verhängnisvollen Nacht Lenka Svobodová erschlagen hatte. Sie hätte es auch selbst getan haben können. Markéta Kousalová war in Krasnohorský verliebt gewesen – und dann hatte Lenka ihr das Hochzeitsfoto geschenkt. Hatte Markéta Kousalová in jener Nacht die Chance genutzt, die sich ihr geboten hatte? Dafür, dass Dana Volná in jener Nacht in der Wohnung gewesen war, gab es nur ihre Aussage. Niemand hatte die Volná dort gesehen. Außer Hora vielleicht – aber der war tot. Wie praktisch, dachte er zynisch. Aber das passte alles nicht. Markéta Kousalová war keine kaltblütige Mörderin. Er glaubte nicht, dass sie Lenka auf dem Gewissen hatte. Annahmen, Vermutungen, Spekulationen. Er brauchte Krasnohorskýs Aussage. Aber zuerst musste er sich um den Oberst kümmern – diese graue Eminenz, die immer an Ort und Stelle gewesen war. Warum? Weit und breit kein Motiv. Nirgends. Er musste das Väterchen anrufen, vielleicht war der noch auf etwas gestoßen.
»Darf ich gehen?«, fragte Markéta leise.
»Nein. Inspektor Cyanová schreibt das Protokoll, und Sie werden es unterschreiben. Dann bleiben Sie hier. Ich bin noch nicht fertig mit Ihnen.«
Er sah Nebeský an. Der nickte und stand auf. »Kommen Sie, Frau Kousalová.« Nebeský nahm ihren Arm, sie stand auf.
»Verhaften Sie mich?«
»Noch nicht. Aber Sie bleiben hier, bis ich wiederkomme. Verstanden?«
Markéta nickte und verließ mit Nebeský sein Büro. Eine Tür wurde geöffnet und kurz darauf geschlossen. Ein Stuhl schrammte über den Boden. Wasser rauschte. Meda setzte Kaffee auf. Anděls Blick fiel auf Markétas unberührtes Glas. Immer wieder kalter Kaffee, dachte er. Was könnte die Welt schön sein, wenn er getrunken würde.
Der Blick aus dem Fenster im Wohnzimmer des Obersts war wunderschön. Ein verwilderter Garten mit ein paar Obstbäumen, Blumenrabatten, hohen Himbeersträuchern, die den Zaun säumten. Mitten in der Stadt. Die Villa stand am Hang, der Garten fiel leicht in Richtung Moldau ab, ohne dass man den Fluss von hier aus hätte sehen können. Der Oberst wohnte im Erdgeschoss in einer nicht besonders großen Wohnung und hatte sie ins Arbeitszimmer geführt. An den Wänden standen deckenhohe Bücherregale, das Zimmer quoll über vor Möbelstücken. Antiquitäten so weit das Auge reichte. Der Oberst hatte einen teuren Geschmack.
Er hatte sie empfangen, als hätte er sie erwartet. Nun, eigentlich kein Wunder, dachte Anděl, dumm war der Oberst nicht. Er hatte sich ausrechnen können, dass sie den Weg zu ihm finden würden. Das Netz zog sich zu – dank der Hilfe des Väterchens. Das Telefonat mit dem Staatsanwalt war kurz gewesen, aber äußerst aufschlussreich.
Der Oberst wirkte gelassen. »Nun, meine Herren«, sagte er, »möchten Sie etwas trinken? Einen Kaffee? Whisky? Sherry? Port?« Ganz der höfliche Gastgeber.
»Danke, nein«, sagte Anděl
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