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Nasses Grab

Nasses Grab

Titel: Nasses Grab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helena Reich
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von der Versicherung da raus, und was glaubt ihr: Da stand das Häuschen auf dem Grundstück! Als wäre nie was gewesen. Der Versicherungsfutzi war natürlich sauer, meinte, er habe für solche Scherze keine Zeit. ›Glaub ich gern‹, sagt mein Cousin, ›aber dieses Häuschen gehört mir nicht, und es war gestern auch noch nicht da!‹«
    Die ganze Gesellschaft hatte gebrüllt vor Lachen, andere hatten von ihren eigenen Erlebnissen mit Schrebergartenhäuschen, Landhäusern, Karpfenteichen und herrenlosem Mobiliar erzählt.
    Selbst das noch immer belastete Verhältnis zu den nach dem Krieg vertriebenen Sudetendeutschen gab angesichts der nach Deutschland abfließenden Wassermassen Anlass zu derben Witzen. Man schicke ihnen endlich ihre lange entbehrten Immobilien nach, hieß es mancherorts – auf dem Seeweg.
    Kein Humor konnte aber darüber hinwegtäuschen, dass die Mutter der Städte, wie Prag liebevoll von seinen Bewohnern genannt wird, schwere Schäden erlitten hatte. Die Kleinseite hatte es schlimm erwischt, große Teile standen noch immer fast zwei Meter unter Wasser, die Keller und Erdgeschosse waren vollgelaufen, und das langsam abfließende Wasser ließ nur Schlamm und Gerümpel zurück.
    Besonders die Kampa, das Inselchen auf der Kleinseite südlich der Karlsbrücke, war verwüstet. In jedem Haus auf dem Hauptplatz der Insel hatte es vor der Flut ein Restaurant oder Café gegeben – nun war nichts übrig als nasse Mauern und verschlammte Berge von kaputten Möbeln und Geschirr.
    Die neue Galerie in den Sovovy Mlýny, einer ehemaligen Mühle auf der Kampa-Insel unterhalb der Karlsbrücke und direkt am Wasser gelegen, war nach jahrelangen Restaurierungsarbeiten nur zwei Tage vor der geplanten Eröffnung dem Hochwasser zum Opfer gefallen. Da nahm sich im Nachhinein der lange währende Streit der Besitzer mit den Denkmalpflegern wegen des Parketts wie ein schlechter Witz aus. Monatelang hatten die Besitzer gefordert, das jahrhundertealte Parkett gegen einen anderen Fußbodenbelag austauschen zu dürfen – das alte Holz passe einfach nicht zu moderner Kunst im Allgemeinen und zum Konzept des Hauses im Besonderen. Die Denkmalpfleger hatten sich gewehrt, die Sovovy Mlýny sei ein denkmalgeschütztes Gebäude und das Parkett deshalb auf jeden Fall zu erhalten. Schließlich hatten sich die Denkmalschützer durchgesetzt, doch ihr Triumph währte nur kurz: Das mit großem Aufwand frisch restaurierte Parkett war auch ein Opfer des Hochwassers geworden.
    Die Altstadt war zwar nicht überflutet worden, viele Bürger hatten der Feuerwehr geholfen, die engen Gassen mit Sandsäcken gegen das Wasser zu schützen. Doch das Grundwasser war stark angestiegen und in die Keller der Häuser eingedrungen. Strom, Gas und Wasser waren gesperrt worden, und eines Nachts hatte man die Altstadt in den frühen Morgenstunden evakuiert.
    Auch die berühmte alte Rathausuhr, der Orloj, auf dem Altstädter Ring, um den sich jeden Tag zur vollen Stunde Hunderte von Touristen scharen, um die an zwei Fensterchen vorbeiziehenden zwölf Apostel zu beobachten und dem Skelett zuzusehen, wie es das Stundenglas dreht und die Glocke schlägt, diese mehr als fünfhundert Jahre alte astronomische Uhr mit ihrer geheimnisvollen Mechanik, war stehen geblieben. Zum ersten Mal seit undenklichen Zeiten. Für manche eine banale Folge der Stromsperrung in der Altstadt, für andere mystisches Zeichen des Verhängnisses, das die Stadt wie aus heiterem Himmel getroffen hatte.
    Larissa lief jeden Tag durch die Stadt, sprach mit Touristen, Einheimischen und Geschäftsleuten, informierte sich über das Ausmaß der Katastrophe, die die Goldene Stadt mitten in der sommerlichen Hochsaison heimgesucht hatte. Die meisten Hotels in der Altstadt und auf der Kleinseite waren evakuiert und die Gäste in anderen Hotels untergebracht worden.
    Doch auch die verbliebenen noblen wie einfachen Herbergen kämpften mit den Folgen des Hochwassers. Während Larissa in einem feinen kleinen Hotel in der Neustadt den Geschäftsführer an der Rezeption interviewte, telefonierte die Rezeptionistin mit verschreckten Anrufern, die sich informieren wollten, ob ihre Reise buchstäblich ins Wasser fallen würde.
    »Selbstverständlich haben wir nicht geschlossen, Sir«, sagte die junge Frau in vollendetem amerikanischem Englisch zu einem Anrufer. »Wie es hier aussieht? Nun, ich würde sagen, in Venedig gibt es nur unwesentlich mehr Wasser als bei uns … Ja, Sir, ich verstehe.

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