213 - Aruulas Grab
Der Kampf hatte sie erschöpft. Aruula steckte die Fackeln in zwei Vasen, die sie als Halterungen zweckentfremdete, und setzte sich auf den prächtig verzierten hölzernen Stuhl, der in den letzten Tagen zu ihrem Thron geworden war. Er stand auf Löwenbeinen und war mit allerlei Beschlägen aus echtem Gold verziert. Die obere Kante der Lehne zierte eine geflügelte Sonne, während die Lehnenfläche durchbrochen war und einen sitzenden Gott mit Sonnenscheibe auf dem Kopf darstellte, umgeben von Tafeln, in denen in vielen kleinen Bildern irgendetwas dargestellt wurde; vermutlich die Taten der Toten, die im Sarkophag vor ihr ruhte.
O ja, nach den Bildern und Totengaben zu schließen musste es die Mumie einer Frau sein, die hier beerdigt lag. Eine mächtige Phaaro, denn der Prunk und Reichtum, die ihre Grabkammer schmückten, waren kaum zu fassen. Mächtige Säulen mit umlaufenden farbigen Schriftbändern stützten die Kammer. Die Wände waren von oben bis unten mit Bildern der Verstorbenen und irgendwelcher Götter bemalt, die schützend ihre Hand über sie hielten. Gold, Blau und Rot dominierten.
Kleine Statuen aus purem Gold standen überall herum, Modelle von Barken, Granatapfel-Vasen, Schreine und allerlei Dinge, deren Sinn Aruula nicht einmal erahnen konnte. Da gehörte ihr Sessel eher noch zu den bescheideneren Grabbeigaben. Die Barbarin schluckte schwer. Was ist der Unterschied zwischen dir und mir, du mächtige Herrscherin?
Ganz einfach. Du warst schon tot, als du in diese Grabkammer gekommen bist. Ich dagegen werde hier drinnen elend verrecken.
Nicht zum ersten Mal in den letzten Tagen überkam sie der Gedanke, sich einfach in ihr Schwert zu stürzen, um sich einen langsamen, qualvollen Tod zu ersparen. Ein Stich, ein Schmerz, dann wäre alles vorbei.
Nein. Noch war sie nicht so weit, einfach aufzugeben! Noch lange nicht! Aruula schüttelte unwillig den Kopf. So lange Hoffnung bestand, würde sie alles tun, um der tödlichen Falle doch noch zu entrinnen. Als erbärmlicher Feigling, der sein Leben grundlos weggeworfen hatte, wollte sie keinesfalls vor Wudans Angesicht treten.
Und Hoffnung gab es durchaus. Denn die Skaiks (Skarabäen, der Familie der Blatthornkäfer zugehörig) mussten ja von irgendwo her kommen. Das hieß, dass es irgendwo ein Schlupfloch gab. Sie hatte es nur noch nicht gefunden. Die Skaiks erschienen einfach aus der Finsternis heraus, und wenn sie sie verjagte, krabbelten sie in alle Richtungen davon.
Dass es einen Ausgang geben musste, war unstrittig, sonst hätte sie nach drei Tagen nicht mehr genügend Luft zum Atmen gehabt, und auch die Fackeln wären längst erloschen.
Aruula vom Volk der dreizehn Inseln klammerte sich mit aller Macht an diese Hoffnung. Und unterdrückte den Gedanken, dass sie den Weg der Skaiks vielleicht nicht würde gehen können, weil sie einfach zu groß dafür war.
Außerdem vertraute sie auf Wudan. Der Gott, den sie seit ihrer frühesten Kindheit anrief und dessen heilige Linien sie sich auf den Körper malte, würde sie auch dieses Mal nicht im Stich lassen, davon war Aruula fest überzeugt. Denn Wudan war ein wirklich mächtiger Gott. Nicht so abwartend wie etwa der Gott mit dem riesigen Schakalkörper aus grauem Stein, der durchaus erhaben auf dem Sarkophag der Königin ruhte, aber doch nur irgendwo ins Leere starrte. Die Egeeter nannten diesen Gott Amentu. Ich muss den Ausgang bald finden. Viel Zeit habe ich nicht mehr. Und Wudan hilft mir nur, wenn ich selbst etwas tue…
Die Kriegerin, nur mit einem knappen Oberteil aus braunem Leder und einem noch knapperen Lendenschurz aus demselben Material bekleidet, wollte sich erheben, sich erneut auf die Suche machen, alle Ecken ausleuchten und unter all den Gegenständen in der weitläufigen Kammer forschen, die auf kurzen Beinen standen, wie etwa die schwere Satteldachtruhe, aus edelsten Hölzern und Efrantenzahn gefertigt. Bisher hatte sie noch nicht darunter geschaut. Aber das würde jetzt nachholen.
Oder nein, in ein paar Minuten erst… Erst noch ein bisschen ausruhen und nachdenken…
Und so ließ sie ihre Gedanken weiter schweifen, zunehmend sprunghafter und verwirrter, weil viel weniger Sauerstoff in der Grabkammer war, als sie annahm.
Wie hatte das alles angefangen? Bilder zogen an ihrem geistigen Auge vorbei, manche verschwommen, andere wieder ausgesprochen klar.
Schuld an ihrer misslichen Lage war letztlich ihr eigener Sohn: Daa’tan. Ihn missraten zu nennen wäre ungerecht, denn immerhin war
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