Nasses Grab
Spurensicherung. Markéta war kurz davor gewesen, ihm zu sagen, wen sie an jenem Abend neben Dana kniend gesehen hatte. Noch einen kleinen Moment, und sie hätte ihm den Namen der Mörderin verraten. Und dann hatte das schrille Klingeln der Türglocke den magischen Augenblick zerstört. Vorbei. Er wusste, dass es keinen Sinn hatte, sie zu drängen, sie würde nichts sagen. Er sah sie nachdenklich an, während sie im Flur ihre Sachen zusammensuchte, um wieder zur Arbeit zu fahren. Sie spielte vielleicht mit ihrem Leben. Hatte die Mörderin sie wirklich nicht gesehen? Wahrscheinlich nicht, sonst hätte Markéta Kousalová jenen Abend wohl nicht überlebt. Aber möglicherweise hatte die Frau nur keine Zeit mehr gehabt, die Augenzeugin zu beseitigen. Und dann war ja doch alles nach Plan gelaufen, also hatte die Kousalová nicht beseitigt werden müssen. Dana Volná war verschwunden, alle hatten die Geschichte mit dem Unfall auf der Urlaubsreise geglaubt. Bis sie nun nach einem Vierteljahrhundert wieder aufgetaucht war, in diesem nassen Grab unter dem Wenzelsplatz.
Es war spät, und sie war müde. Das Gespräch mit Honza am Morgen auf der Terrasse des Prinz hätte diesen Tag für sie fast zu einem Albtraum werden lassen. Diese verrückte Geschichte, die er ihr von der Mumie erzählt hatte. Sie hatte es nicht fassen können, dass er so etwas getan hatte. Wenn es darauf ankam, hatte er offenbar mehr Mumm in den Knochen, als sie ihm zugetraut hätte.
Er hatte gesagt, er sei nicht der Mörder, hatte sie fast angefleht, ihm zu glauben. Warum er damals nicht einfach die Polizei gerufen habe, hatte sie ihn gefragt. Wegen Venca, hatte er geantwortet, er habe ihn nicht verraten wollen und deshalb lieber die Leiche verschwinden lassen. Es sei eigentlich ganz einfach gewesen, niemand habe ihn gesehen. Hatte er gedacht. Doch wenn die Zeitungen – und Larissa – recht hatten, dann hatte es sehr wohl jemanden gegeben, der etwas beobachtet hatte. Aus Honzas Augen hatte die nackte Angst geblickt. Niemand würde ihm diese abstruse Geschichte glauben. Trotzdem überlegte dieser Idiot allen Ernstes, sich bei der Polizei zu melden. Und sie sollte auch noch mitgehen! Das Ganze müsse endlich aufgeklärt werden, hatte er beharrt. Er wolle endlich reinen Tisch machen. Keine Lügen mehr, hatte er gesagt. Sie hatte vor Wut gekocht. Sie müssten doch nur die Nachbarin finden und sie überzeugen, ebenfalls zur Polizei zu gehen, hatte er gesagt, die Nachbarin könne alles bezeugen.
»Natürlich«, hatte sie gesagt, »die hat bestimmt ein Interesse daran, dass nach fünfundzwanzig Jahren herauskommt, wozu sie dich angestiftet und wobei sie dir geholfen hat. Vertuschung einer Straftat, Honza, eines Mordes! Wer, glaubst du, schwärzt sich da freiwillig an?« »Dir passiert doch nichts«, hatte Honza gesagt, »warum kannst du ihnen nicht einfach sagen, wer du wirklich bist? Sie kommen doch sowieso darauf.« Er hatte wohl recht, früher oder später würden sie vielleicht darauf kommen. Aber vielleicht auch nicht. Das war ihre Hoffnung.
Sie fühlte wieder diese Wut in sich aufsteigen. Er war drauf und dran, ihr Leben abermals zu ruinieren. Sie hatte ihn so sehr geliebt, damals. Seinetwegen hatte sie sich seinerzeit überhaupt auf dieses verrückte Abenteuer eingelassen. Für ihn hatte sie das alles getan. Und dann hatte er sie versetzt, war einfach nicht erschienen zu ihrem Stelldichein in New York. Als sie ihn darauf angesprochen hatte, hatte er betreten geschwiegen.
»Ich konnte nicht«, hatte er schließlich lahm gesagt, als sie nicht lockergelassen hatte. »Ich wollte das alles vergessen. Es war nicht recht.«
Nicht recht! Großer Gott! Ausgerechnet Honza kam ihr mit Recht und Unrecht. Was für ein scheinheiliger Dreckskerl. Sie war schließlich einfach davongelaufen. Welche Dummheit, ihn auf dieser Terrasse anzusprechen. Was hatte sie sich nur dabei gedacht? Aber seit dem Abend in der Oper, als sie in Jay Beaumont, dem stellvertretenden Chefredakteur der Prague Post , ihren früheren Geliebten erkannt hatte, der mit einer jungen Frau im Arm beim Intendanten gestanden und sie angestarrt hatte wie ein Gespenst, war ihr der Gedanke an ein Wiedersehen nicht aus dem Kopf gegangen. Dabei hatte er sie gar nicht erkannt an jenem Abend, wie er ihr gestanden hatte. Er hatte sie überhaupt nicht wahrgenommen. Er hatte ein Gespenst gesehen, o ja. Das gleiche wie sie. Und er hatte es ihr auf den Kopf zugesagt, wen sie beide da gesehen hatten, wessen
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