Nasses Grab
wollte rüberkommen, aber dann kam noch jemand die Treppe hoch. Milan stand am Fenster. Er hat ihn gesehen.«
Milan? Wer war Milan? Und wen hatte er gesehen? Mit jeder Antwort auf seine Fragen tauchten weitere auf. Er kam sich vor wie beim Kampf mit dem neunköpfigen Drachen – für jeden abgeschlagenen Kopf wuchsen sofort zehn andere nach.
»Haben Sie Milan erzählt, was Sie gesehen haben?«
»Ja. Nein. Ich habe nur gesagt, Dana sei gestürzt. Ich habe gesagt, ich hätte gehört, wie sie mit Venca gestritten hat. Und dass Venca weggelaufen ist. – Verstehen Sie doch, ich konnte nicht glauben, was ich gesehen hatte! Es musste ein Missverständnis sein. Ich muss geträumt haben. Er wollte kommen und ihr helfen …« Sie nahm eine weitere Zigarette. Anděl gab ihr Feuer.
»Ist Milan gekommen?«, fragte er.
Sie schüttelte den Kopf. »Ein Auto ist gekommen, als wir telefoniert haben, es hat vor dem Haus gehalten. Und dann ist Honza ausgestiegen und ins Haus gegangen. Er ist in ihre Wohnung gegangen.«
»Hat Milan ihn gesehen?«
»Ja, er stand am Fenster. Milan hat Honza gesehen. Ja.«
»Was haben Sie dann getan, Markéta?«
Sie sah ihn verwirrt an. »Ich? Ich … Milan hat gesagt, ich soll ins Bett gehen, er würde sich darum kümmern.« Sie schwieg einen Moment. »Und ich bin ins Bett gegangen.«
»Haben Sie noch etwas gehört?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Ich muss eingeschlafen sein. Am nächsten Morgen war alles wie immer. Ich … ich bin rübergegangen, in ihre Wohnung. Ich wollte – ach, ich weiß nicht, was ich wollte. Aber es war alles so wie immer. Sie war weg. Und alles war sauber. Ich meine, kein Blut … und dabei … na, es hätte doch Blut da sein müssen, nicht wahr? Sie hatte ihr doch den Kopf eingeschlagen! Es hätte doch Blut da sein müssen, wenn … wenn es wahr gewesen wäre! Aber da war nichts. Und dann habe ich meine Mutter gefragt, wo Dana sei, und sie hat gesagt, die ist doch in Urlaub gefahren, ob ich das denn vergessen hätte.« Sie zog an ihrer Zigarette. »Und dann bin ich zu Milan gegangen und habe ihn gefragt.«
»Und was hat er Ihnen gesagt?«
»Er hat gesagt, es sei alles in Ordnung, Honza sei mit Dana weggefahren. Ich solle mir keine Sorgen machen. Er sagte, es sei alles in Ordnung.« Sie drückte die Zigarette aus und sah ihn an. »Und deshalb glaube ich, dass ich das alles nur geträumt habe.«
Ja, das konnte er sich vorstellen. Am nächsten Tag, im hellen Sonnenschein, ohne Blut, da mochte das alles auf sie wie ein böser Albtraum gewirkt haben. Zumal sowohl ihre Mutter als auch dieser Milan sie nach Kräften beruhigt hatten. Aber es war kein Albtraum gewesen, da war er sich sicher. Sie hatte tatsächlich einen Mord gesehen. Damals, vor fünfundzwanzig Jahren. Und der verfolgt dich bis heute, dachte er mitfühlend. Es hatte nicht nur ein Opfer gegeben an jenem Abend. Eine Frau war ermordet worden, und ein junges Mädchen hatte einen Albtraum erlebt, der es nie wieder losgelassen hatte. Aber warum hatte dieser Milan Krasnohorský gedeckt? War dieser Milan Larissas anonymer Anrufer? Und wenn ja, warum hatte er diesen Krasnohorský nach all den Jahren verraten?
»Wie heißt dieser Milan mit Nachnamen, Markéta?«, fragte Anděl.
Markéta fuhr aus ihren Gedanken auf.
»Milan? Er hat nichts damit zu tun. Lassen Sie ihn in Ruhe. Bitte! Hätte ich nicht angerufen, dann wüsste er gar nichts über diese verdammte Nacht.«
»Ich muss mit ihm reden, Markéta, und ich werde ihn auch ohne Ihre Hilfe finden, aber Sie könnten mir die Suche erleichtern. Vielleicht kann er uns weiterhelfen. Wenn es so war, wie Sie sagen, hat er nichts zu befürchten, glauben Sie mir. Wie heißt er?«
Von ihm hatte dieser Milan nichts zu befürchten, das stimmte schon, die Sache war längst verjährt, aber wusste das auch der Mörder? Wer auch immer Dana Volná damals erschlagen hatte, hatte mehr Glück als Verstand gehabt, doch nun war die Sache aufgeflogen. Und dieser Milan hatte dafür gesorgt, dass die unbekannte Leiche einen Namen bekommen hatte. Ohne seine Hilfe, da machte sich Anděl nichts vor, wären sie vielleicht nie auf ihre Identität gestoßen. Was hatten sie schon, außer einer nackten Leiche mit eingeschlagenem Gesicht? Sie konnten Milan nur schützen, wenn sie wussten, wer er war und wo er sich aufhielt. Und selbst dann hoffte Anděl, dass sie ihn schneller finden würden als der Mörder. Die Mörderin, korrigierte er sich. Wo, und vor allem wer, war diese Frau? Markéta
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