Nasses Grab
Oberst alles erzählen, hatte er gesagt, sonst hätte er mir nicht geholfen. Vencas Vater hatte also auch seine Finger im Spiel gehabt. Das erklärte das geschickt gestreute Gerücht, das bald zu einer allseits anerkannten Tatsache geworden war: dass die Schauspielerin Dana Volná auf einer Reise nach Jugoslawien ums Leben gekommen war. Und nun glaubte der alte Mann seit fünfundzwanzig Jahren, dass sein einziger Sohn ein Mörder war. Nun, recht geschah es ihm. Sie hatte ihn damals um Hilfe gebeten, und er hatte sie abblitzen lassen. Es wäre alles nicht nötig gewesen, wenn er geholfen hätte. Aber letztendlich war es heute ein Segen. Sie war sich sicher, dass der Oberst trotz allem nichts unternehmen würde, was seinem Sohn schaden könnte. Er hatte schon damals alles gedeckt. Um ihn musste sie sich keine Sorgen machen.
Ihr drängendstes Problem war Milan. Sie hatte keine Ahnung, wie sie ihn davon überzeugen konnte, endlich den Mund zu halten. Der Mann hatte nichts zu verlieren. Es gab nur eine Möglichkeit. Sie lächelte. Sie musste alles auf eine Karte setzen. Mit ein bisschen Glück und Überzeugungskraft … Ja. Sie brauchte nur ein bisschen Glück.
Keine weiteren Zeugen. Nun, drei waren weiß Gott genug. Wenn Honza, dieser Idiot, nur nicht in Panik verfiel! Sie musste verrückt gewesen sein, sich da oben auf der Terrasse zu erkennen zu geben. Nun, außer dem Ober war niemand oben gewesen. Niemand, außer ein paar Leuten, die im Laufe ihres Gesprächs hinaufgekommen waren. Ein paar Touristen, ein alter Mann, zwei Frauen mittleren Alters … Sie erstarrte. Die junge Frau. Als sie heruntergelaufen war, schäumend vor Wut, hatte sie an einem der Tische gesessen. Eine junge Frau mit einem großen Sonnenhut und einer Sonnenbrille. Sie hatte sie nicht richtig wahrgenommen. Aber jetzt … Konnte es möglich sein? Wie lange hatte sie dort gesessen, was hatte sie gehört? Sie versuchte, sich zu beruhigen. So viele Frauen liefen bei dieser Hitze mit Sonnenhut und Sonnenbrille herum. Warum war sie sich plötzlich so sicher, die Frau zu kennen? Sie hatte sie doch kaum wahrgenommen heute Morgen. Nicht auszudenken, wenn … Hatte sich denn die ganze Welt gegen sie verschworen? Sie zwang sich zur Ruhe. Das ist nur Panik, dachte sie, ich sehe Probleme, wo keine sind. Wir haben leise gesprochen. Ja, leise, und dass ich Honza kenne, ist nicht weiter verwunderlich. Sie entspannte sich ein wenig. Selbst wenn ihre Vermutung zutraf, brauchte sie sich keine Sorgen zu machen. Die Kleine konnte nichts gehört haben.
Sie ordnete ihren Schreibtisch, nahm ihre Handtasche und ging aus ihrem Büro hinaus in den warmen Spätnachmittag. Sie hatte noch zwei Kleinigkeiten zu erledigen. Und dann würde sie sich um die Frau im roten Kleid kümmern. Endlich.
»Wo ist sie?«
»Wer?«, fragte Magda und sah von ihrer Großmutter zu ihrer Mutter. Ohne Vorwarnung waren die beiden am späten Nachmittag plötzlich im Ráj aufgetaucht, mit einer Wagenladung Koffer, die Magda in ihrem kleinen Büro verstaut hatte. Sie hatte die beiden nach einer stürmischen Begrüßung an einen Tisch gesetzt und sich um die Getränke gekümmert. Sie hatte sich riesig über diese gelungene Überraschung gefreut. Nun saßen sie zu dritt bei einem Glas Wein, und ihre Großmutter warf plötzlich diese Frage auf.
Milena Axamit legte ein paar Fotos auf den Tisch. »Diese Frau«, sagte sie und schob die Fotos zu Magda hinüber.
Magda betrachtete die Fotos und sah überrascht auf. »Woher habt ihr die? Das ist doch – das kann doch nicht wahr sein!«, rief sie aus.
»Doch. Das ist deine Tante Dana. Wo ist sie?«, wiederholte Anna Navrátilová ihre Frage und tippte mit einem knochigen Finger auf das Foto, das eindeutig Alena Freeman zeigte.
Magda war sprachlos. Sie starrte verständnislos erst ihre Großmutter und dann ihre Mutter an. »Woher habt ihr diese Fotos?«, fragte sie noch einmal.
Milena Axamit seufzte. »Cassia hat sie mir geschickt, sie schreibt, ich hätte eine Doppelgängerin in Prag. Und nun glaubt deine Großmutter, dass diese Frau Dana ist. Aber das ist natürlich unmöglich. Dana ist seit fünfundzwanzig Jahren tot.« Sie wandte sich an ihre alte Mutter. »Das weißt du doch, Mama.«
»Nichts weiß ich!«, erwiderte Anna temperamentvoll. »Alles, was ich weiß, ist, dass damals ein Mann vorbeikam, der angeblich von der tschechoslowakischen Botschaft war, und behauptete, Dana sei bei einem Unfall in Jugoslawien ums Leben gekommen. Wer weiß, wen
Weitere Kostenlose Bücher