Nathan King - der Rinderbaron
Verärgerung über die Entscheidung seiner Mutter war in dem Moment, als Miranda Wade auf der Türschwelle erschienen war, wie weggeblasen gewesen.
Tommy hatte es sich auf dem Sofa bequem gemacht und vielleicht insgeheim darauf gehofft, dass Miranda sich neben ihn setzen würde. Doch ihr schöner Gast hatte sich stattdessen dafür entschieden, in einem Sessel neben seiner Mutter Platz zu nehmen – genau gegenüber und möglichst weit entfernt von dem Lehnstuhl, in dem Nathan zuvor gesessen hatte. Sie bedankte sich mit einem freundlichen Lächeln, als Nathan ihr das Glas Wasser auf einen kleinen Beistelltisch stellte, bevor sie das unterbrochene Gespräch mit seiner Mutter wieder aufnahm.
Höflich, aber distanziert, notierte Nathan. Er hielt sich nicht weiter in ihrer Nähe auf und versuchte auch nicht, ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen. Ein Zwei-Jahres-Vertrag gab ihm genug Zeit, sie näher kennenzulernen. Lässig ging er zu Tommy und reichte ihm das Bier,
“Und? Bist du zufrieden mit der Wahl?”, erkundigte er sich forschend.
“Bist du zufrieden?”, gab Tommy die Frage zurück, wobei seine dunklen Augen schalkhaft blitzten.
Nathan zuckte die breiten Schultern. “Das ist allein deine Angelegenheit, Tommy.”
“Ich glaube, sie ist ein Gewinn.” Tommy warf Miranda einen bewundernden Blick zu und fuhr ironisch lächelnd fort: “Ihre Interessen sind ganz auf den Job ausgerichtet.”
“Freut mich zu hören.” Nathan ging zu seinem Sessel und setzte sich zufrieden. Wie es aussah, hatte der Charme seines Bruders ausnahmsweise einmal nicht gewirkt. Es versprach, ein höchst interessanter Abend zu werden. Predigten Feministinnen nicht, dass man Männer zwar begehren konnte, aber sie nicht brauchte? Sexuelle Freiheit für Frauen? Sich zu nehmen, was man wollte? Was, wenn Miranda genau das wollte?
Das Abendessen war köstlich: Garnelen mit Kokosnuss in Mangosauce, gefolgt von einem Barramunda, der auf der Zunge zerging, und schließlich einer Passionsfrucht-Mousse, die ein wahres Gedicht war. Für Miranda war das Essen mit den Kings dennoch eine Prüfung, vor allem angesichts ihres Gastgebers, dessen bloße Anwesenheit sie entschieden nervös machte. Doch sie war der Meinung, sich bis zum Dessert gut gehalten zu haben.
Zwar hatte sich Nathan kaum am Tischgespräch beteiligt, aber ihr war nicht entgangen, dass er jedes ihrer Worte aufmerksam verfolgt hatte. Sie spürte, dass er versuchte, sich aus ihren Fragen, Antworten und Ansichten ein Bild von ihrer Person zu machen, ohne von sich selber etwas preiszugeben.
Zu ihrem Leidwesen musste sie immer wieder daran denken, wie sich ihre Hand in seiner angefühlt hatte. Vielleicht lag es daran, dass er der Rinderzüchter unter den Kings war, aber sie hatte den Eindruck, als hätte er sie mit seinem Brandzeichen versehen. Nathan King erinnerte sie in einem Maß an ihre Weiblichkeit, wie es nicht einmal Bobby Hewson getan hatte.
Glücklicherweise sorgten Tommy und Elizabeth King mit ihrer lockeren, informativen Unterhaltung dafür, dass sie sich etwas entspannen konnte. Und die geschmackvolle Einrichtung des Esszimmers war auch geeignet, von dem Mann abzulenken, dessen Gegenwart den Tisch beherrschte. Immer wieder ließ Miranda den Blick bewundernd über die schönen Möbel aus poliertem Mahagoniholz und die dekorativen Vogelbilder an den Wänden schweifen. Alles wirkte makellos gepflegt, und sie fragte sich unwillkürlich, wie viel Angestellte nötig waren, um dieses große Haus in Ordnung zu halten. Bislang hatte sie nur Nancy kennengelernt, die das Abendessen serviert hatte.
“Ich denke, es wäre gut, wenn Miranda selber die üblichen Touristenausflüge machen würde, bevor die Saison im Ferienpark richtig beginnt”, schlug Elizabeth King plötzlich vor. “Sie sollte das, was sie den Gästen empfiehlt, persönlich kennen.”
Tommy machte ein nachdenkliches Gesicht. “Sam ist immer noch durch ihren verstauchten Knöchel außer Gefecht gesetzt …”
Samantha Connelly gehörte als Hubschrauberpilotin zum Stammpersonal des Ferienparks. Miranda hatte sie bereits kennengelernt – eine hübsche, sehr sympathische junge Frau, die jedoch empfindlich auf Tommys Neckereien wegen ihrer vorübergehenden Behinderung reagiert hatte.
“Ich fliege übermorgen zur Bungle Bungle Range. Miranda kann mich begleiten, wenn sie möchte.”
Diese beiläufigen Worte, so unerwartet aus Nathans Mund, ließen alle erstaunt aufblicken.
Tommy sah seinen Bruder entgeistert an.
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