Nathaniels Seele
Runden zu kommen.“
Plötzlich stand er direkt vor ihr. Seine Bewegungen waren so schnell gewesen, dass sie sie nicht bewusst wahrgenommen hatte.Er presste sie gegen die Holzwand, seine Finger legten sich heiß um ihre Kehle und drückten zu. Es war nur ein milder Druck, aber Josephine spürte, wie seine Hand zitterte. Gierig danach, ihre gesamte Kraft zu entfalten.
„Du weißt nichts“, raunte er ihr ins Ohr. Die Weichheit seiner Stimme besaß etwas Furcht Einflößendes. „Gar nichts. Bei euch reden die am meisten, die nichts wissen. Normalerweise bereue ich es niemals, schöne Frauen zu retten, aber du hast es geschafft.“
„Niemand hat dich gezwungen. Ich hätte es auch allein geschafft.“
„Dann hat mich wohl meine Erinnerung getrogen.“ Der Indianer lächelte so gleichmütig und herausfordernd zugleich, dass Josephine vor Zorn brodelte. „In der warst du gelähmt vor Angst und konntest keinen Schritt mehr tun. Was hättest du also zu deiner Rettung beigetragen? Geschrien, bis irgendwer von der Farm dich hört?“
„Zum Beispiel“, fauchte sie.
„Du bist nichts weiter als eine arrogante Wohlstandsschnepfe. Schade. Was für eine Verschwendung für diese hübsche Hülle. Aber du bist noch jung, vielleicht lernst du ja noch was.“
Josephine öffnete den Mund für einen unflätigen Fluch, doch sein Finger presste sich auf ihren Mund. Sie sah diese abgrundtiefen Augen direkt vor sich. Schwarz wie die Nacht. Sie durchbohrten sie, glühend und versengend, nagelten sie fest wie ein kleines Tier, schienen ihre Seele anzuzapfen. Josephine atmete nicht mehr. Ihr Leben war nur noch eine zerbrechliche Blüte zwischen seinen zupackenden Händen. Idiotischerweise krallte sich ihr Blick ausgerechnet jetzt an seinen Lippen fest. Sie waren voll und weich. Ganz leicht lagen sie aufeinander, entließen stoßweise seinen heißen Atem. Er roch nach Wildnis, Gefahr und … Raubtier. Mit fiebriger Intensität spürte sie die Härte seines Körpers an dem ihren. Sie wusste, dass in ihm eine Kraft lag, die jeder Beschreibung spottete. Draußen vor dem Stall flatterte das Käuzchen krächzend auf. Die Grillen verstummten. Eine durch den Stalleingang ziehende Brise wehte ihr das Haar des Mannes ins Gesicht. Er strich es nach hinten und wich zurück, doch nur, um sie mit eiskaltem Blick zu fixieren. Langsam löste sich der Griff seiner Hand. Erst als sie feucht und heiß von ihr abglitt, rang Josephine kläglich nach Atem. Ihre schmerzenden Lungen füllten sich gierig mit Luft. Es war ein Gefühl, als tauche sie aus einer zähen, schwarzen Tiefe auf.
„Ich habe dir geholfen“, raunte er. „Aber das hat nichts zu bedeuten. Der Geruch deiner Angst verpestete den ganzen Wald. Sie störte mich. Also gute Nacht, Josephine.“
Mit diesen Worten wandte er sich ab. Seine Schritte waren raumgreifend und arrogant. Das Licht der Stalllampe streifte noch einmal sein Haar, dann verschluckte ihn die Dunkelheit. Als hätte er sich aus ihr herausmaterialisiert und sei wie ein Nachtmahr mit ihr verschmolzen. Josephine lehnte den Kopf gegen die Bretterwand. Ihre Kehle brannte, als schlösse sich seine fiebrig heiße Hand noch immer darum. Sie brannte ebenso sehr wie ihre Lippen, auf denen sein Finger gelegen hatte. Die Hitze des Mannes lastete auf ihr, vermischt mit dem Geruch seines Atems. Er kannte ihren Namen. Aber sie war ihm niemals zuvor begegnet. Josephine war sich dessen vollkommen sicher, denn eine Begegnung mit einem Menschen wie diesem hätte sich in ihre Erinnerung eingebrannt.
Erst jetzt bemerkte sie, dass sie am ganzen Leib zitterte. Kraftlos gaben die Beine unter ihr nach. Sie sank zu Boden, lehnte sich gegen die Wand der Box und schloss die Augen. Die Stille der Nacht hüllte sie ein wie in einen samtenen Mantel. Sie spürte die Weite der Wälder, welche die Farm umgaben, spürte ihre schweigende Dunkelheit und ihren uralten Atem. Die nächste Crow-Siedlung lag mehrere Kilometer entfernt. Lief er nun durch die Wälder wie ein Tier? Sie hörte das Zirpen der Grillen und das hauchfeine Sirren der Lampe. Manchmal schnaubte eines der Pferde oder eine Mücke verbrannte knisternd im Insektenfänger. Doch sonst war nichts zu hören.
Crow-Reservat
Nathaniel saß hoch oben in einem Baum und beobachtete die Männer. Er trug diesmal weder den Bogen noch ein Messer bei sich, sondern war mit Ausnahme der kleinen scharfen Steinklinge, die in seinem Gürtel steckte, waffenlos seiner Aufgabe nachgegangen. Der beißende
Weitere Kostenlose Bücher