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Nathaniels Seele

Titel: Nathaniels Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
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lassen.
    Sein Blick glitt zu dem Mann rechts von ihm, der nicht an die Macht des Totems glaubte und spöttisch schnaufte. Umso größer war seine Verblüffung, als Nathaniel ihn zwang, sich umzudrehen. Er tat einen Schritt. Dann einen weiteren. Steifbeinig und hilflos, gesteuert von einem Willen, dem er nichts entgegenzusetzen hatte.
    „Bitte nicht“, wimmerte der Mann. „Nein, bitte nicht.“
    Jetzt begann er, zu rennen. Er riss die Glastür auf, taumelte auf die Terrasse hinaus und lehnte sich über die Brüstung. Ohne zu zögern, würde sich sein Opfer in die Tiefe stürzen, wenn Nathaniel es von ihm verlangte.
    „Du siehst, ich habe Macht über ihn“, sagte er. „Wieso ihn sinnlos opfern?“,
    „Wie edel von dir“, säuselte Hazlewood triumphierend. „Aber gut, lass ihn frei.“
    Der Mann an der Brüstung sank aufatmend in sich zusammen.
    „Christian?“ Hazlewood rieb sich die Hände. „Führen Sie unseren ehrenwerten Gast in sein Zimmer. Und keine Sorge, er wird fromm sein wie ein Lamm.“
    Grobe Hände packten Nathaniels Schultern und zogen ihn hoch. Das Aroma von unterschwelliger Angst schwängerte die Luft. Ehe er weggezerrt wurde, sah er, wie Josephine auf das Bett gestoßen wurde und sich zusammenrollte. Ihr zarter Körper glich dem eines verwundeten Tieres. Wenn ihm nur eine Lösung in den Sinn gekommen wäre. Irgendeine Fügung des Schicksals, ein Zeichen der Geister, irgendetwas, das hilfreich war. Absá schwieg nach wie vor, sein analytischer Verstand ebenso. Dennoch prägte er sich binnen eines Sekundenbruchteils Kleinigkeiten ein, die ihm, falls der Spieß sich umkehrte, vielleicht helfen konnten.
    Christian stieß ihn in Richtung Ausgang. Wutentbrannt, doch nur noch ein Schatten seiner selbst, warf sich der Geist gegen sein Gefängnis, unfähig, eine Niederlage zu ertragen. Er zerrte an seinen Fesseln aus Fleisch und verfiel in Raserei, umso verzweifelter, da seine Kraft längst nicht mehr ausreichte, die Kontrolle über Nathaniel zu gewinnen.
    „Willkommen in der Luxussuite.“ Christian öffnete eine Tür und stieß ihn in einen leeren Raum.
    Gedämpftes Licht aus drei Strahlern, die in die Decke eingearbeitet waren, floss über einen graublauen Teppich. Die Abdrücke mehrerer Stühle, eines Tisches und eines Schrankes waren zu sehen, was bedeutete, dass der Raum erst vor Kurzem geleert worden war, um ihm keine Möglichkeit zu geben, irgendetwas als Werkzeug zur Befreiung zu nutzen.
    Inzwischen zu Tode erschöpft, sank Nathaniel in einer Ecke zu Boden und lehnte den Kopf gegen die Wand. Die Kraft des Totems strömte aus ihm wie Blut aus einer tiefen Wunde. Im Glückstaumel seiner neu erwachten Liebe hatte den Aufenthalt am Grab immer wieder hinausgeschoben, und jetzt rächte sich dieser Fehler. Ungeachtet seiner wachsenden Angst um Josephine gewann schnell die Müdigkeit die Oberhand und er nickte ein, unfähig, seine bleischweren Lider länger offen zu halten.
    Als irgendwann ein grauhaariger Mann mit einem Koffer ins Zimmer kam, nahm er das, was geschah, nur verschwommen wahr. Mit mühsam aufrechterhaltener Contenance hockte sich der Mann neben ihn, jagte eine Nadel in seinen Arm und füllte mehrere Röhrchen mit Blut.
    Nathaniel hörte sich lachen. Hazlewoods Enttäuschung war vorprogrammiert. Skurrile Bilder schossen ihm durch den Kopf. Ein sich aufblähender, explodierender Körper. Ein Körper, der sich in Krämpfen wand und blitzartig mutierte. Herausquellende Augen und ein aufgerissener Mund. Ausschlag der ekelhaftesten Sorte. Abfallende Gliedmaßen. Noch niemals hatte es ein Mensch versucht, sich die Kraft des Totems auf diese Weise anzueignen, und Nathaniel bezweifelte, dass ein solcher Versuch von Erfolg gekrönt sein würde. Andererseits kannte er sich in der modernen Medizin nicht aus. Was, wenn es tatsächlich gelang? Was, wenn der Geist ihn nach so langer Zeit verließ und er gehen konnte? Noch vor Kurzem wäre ihm diese Idee verlockend erschienen, doch jetzt, da Josephine in sein Leben getreten war, wehrte er sich mit aller Macht gegen diesen Gedanken.
    Hastig packte der Mann alles zusammen, sprang auf und beeilte sich, das Zimmer zu verlassen. Wieder fiel die Tür zu. Das zweifache, metallene Geräusch der Verriegelung erklang. Zurück blieb ein saurer Geruch nach Angst und kaltem Schweiß. Nathaniel rollte sich zusammen, schloss die Augen und driftete in Finsternis ab.
    Eine Tür wurde aufgestoßen. Jemand, den er in seinem Dämmerzustand nur als Schatten wahrnahm,

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