"Natürlich kann geschossen werden": Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
ran, um Waffen zu besorgen. Sie gingen in eine Kneipe namens »Wolfsschanze«, einen schummrigen Treffpunkt von Nazis und Kriminellen in Berlin-Charlottenburg. Einem aus der DDR freigekauften Zuchthäusler kauften sie für 2000 Mark zwei Pistolen ab. Mit einer Beretta-Pistole schoss dann der maskierte Mann bei der Befreiung Baaders den Institutsangestellten an. 18
Kapitel 3
Im Untergrund
Am 8. Juni 1970 machte sich in West-Berlin eine Reisegesellschaft der besonderen Art auf den Weg. Der Anführer der konspirativen Gruppe war der Rechtsanwalt Horst Mahler, der im Zusammenhang mit der Befreiung Andreas Baaders von der Polizei gesucht wurde. Mit ihm fuhren je zwei junge Männer und Frauen zum Ost-Berliner Flughafen Schönefeld. Sie sollten sich bald als »anarchistische Gewalttäter« auf den Fahndungsplakaten der Polizei wiederfinden. Das Quintett mit dem Reiseziel Damaskus war die Vorhut der Gruppe, die sich »Rote Armee Fraktion« nennen würde.
Ihre Gründer verstanden sich als Revolutionäre. Da die Revolution nicht in Sicht war, wollten sie sie erzwingen. Sie wollten »ein Zeichen setzen«, wie manche von ihnen es heute noch ausdrücken. Sie begriffen sich als Avantgarde der Arbeiterklasse, die - wie es Karl Marx prophezeit hatte - den Kapitalismus überwinden würde. Vor allem aber sahen sie sich in einer antiimperialistischen Front mit dem Vietcong in Vietnam, den Tupamaros in Uruguay oder den Black Panthers in den USA.
Sie meinten es ernst. »Die Baader-Befreiungs-Aktion«, hatte Ulrike Meinhof geschrieben, »war kein Deckchensticken.« Wohl wahr. Das Befreiungskommando hatte einen alten Mann angeschossen und lebensgefährlich verletzt. Auf allen fünf Beteiligten lastete deshalb der Vorwurf des versuchten Mordes; Meinhofs Steckbrief prangte an den West-Berliner Litfaßsäulen. Da sich die Gruppe auf eine solchen Fahndungsdruck nicht vorbereitet hatte, war die Reise in den Nahen Osten eine Flucht aus Berlin.
Nach einem ungeplanten Zwischenstopp in Beirut brachten Palästinenser die Vorausabteilung aus Berlin in die jordanische Hauptstadt Amman. Die Vertreter der Fatah, des bewaffneten Arms von Jassir Arafats Palestine Liberation Organization (PLO), organisierten für ihre Gäste ein Polit-Touristen-Programm. Die aber erklärten nach den obligatorischen Besuchen in Flüchtlingslagern und Waisenhäusern: »Das ist ja alles sehr interessant, aber wir wollen eine Ausbildung. Wir wollen Waffen. Wir wollen an die Front!«
Wunschgemäß brachten die Palästinenser sie in ein Fatah-Lager unweit von Amman, in dem sich bald auch der Rest der Berliner einfand. Nun standen für die 14 Lehrlinge der Weltrevolution Dauerlauf, Schießübungen und Nahkampf auf dem Ausbildungsprogramm. »Horst Mahler war so eifrig dabei«, erinnert sich ein Teilnehmer, »als ob er schon immer Soldat werden wollte.« Andreas Baader habe, wie üblich, gleich angefangen zu motzen. Er fand es für angehende Stadtguerilleros sinnlos, Nahkampf mit dem Bajonett zu üben. Die kulturellen Differenzen zwischen den palästinensischen Freischärlern und den Freaks aus Deutschland konnte auch die internationale Solidarität nicht immer überbrücken. So hatten sich die Berliner erfolgreich dagegen gewehrt, dass Frauen und Männer in getrennten Unterkünften schlafen sollten. Aber als sich Frauen der Gruppe nackt sonnten, schritt der Lagerkommandant doch ein.
Die inoffizielle Führung der Deutschen bestand aus zwei Männern und zwei Frauen: dem Bohemien Andreas Baader und dem Anwalt Horst Mahler, der Doktorandin Gudrun Ensslin und der Journalistin Ulrike Meinhof. Der Exfreund Meinhofs, Peter Homann, begann bald, gegen Baader und dessen Chefgehabe zu opponieren. Nach einer Schlägerei zwischen den beiden wurde der Dissident von den Palästinensern nach Hause geschickt.
Jürgen Bäcker, der vormalige Geschäftsführer des Republikanischen Clubs in Berlin, wurde in der Heimat noch nicht von der Polizei gesucht. Er reiste deshalb nach dem Ende der knapp achtwöchigen Ausbildung als Erster zurück. Bäcker sollte herausfinden, ob die Route sicher war. Doch auf dem Ost-Berliner Flughafen Schönefeld wurde er festgenommen und an die Staatssicherheit übergeben. »Damit Sie uns keinen Unsinn erzählen«, empfing ihn ein Stasi-Vernehmer, »geben ich Ihnen mal ein Beispiel, was wir über Ihre Truppe wissen.« Er nannte Bäcker den Decknamen, den dieser gerade erst im Fatah-Lager bekommen hatte.
»Harp«, alias Bäcker, klärte daraufhin die
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