"Natürlich kann geschossen werden": Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
Raspe und der Kameramann Holger Meins waren Baaders Vertraute. Vornehmlich Frauen machten die zweite Reihe aus. Dem überwiegend männlichen Fußvolk wurden technische und logistische Hilfsarbeiten aufgetragen.
Anwalt und RAF-Gründer Horst Mahler im Gefängnis Berlin-Tegel.
»Die RAF«, sagt Ex-Mitglied Jürgen Bäcker, »das waren Bürgerkinder mit einer karitativen Macke.« Doch trotz des Anspruches, die Klassengesellschaft zu überwinden, reproduzierte die RAF sie. Die Führung und die Kader waren Kinder von Akademikern, die meisten Hilfskräfte hingegen kamen aus der Arbeiterklasse. Bei den wenigen der ersten Generation, die später aussagten und in den Augen der RAF zu Verrätern wurden, handelte es sich meist um Proletarier.
Die heimliche Chefin der ersten Generation der RAF war Gudrun Ensslin. Bommi Baumann schrieb über sie: »Der wirkliche Kopf durch gute Rhetorik und stechende Intelligenz sowie psychologisch scharfe Einzelanalysen. Der Geist der RAF. Sehr kalt, mutig, fanatisch. Sehr fleißig und ordentlich.«
Als gut zum Rekrutieren außerhalb der West-Berliner Szene erwies sich für die RAF das »Sozialistische Patientenkollektiv« (SPK), eine antikapitalistische Psychosekte in Heidelberg. Ihre Parole lautete: »Das System hat uns krank gemacht, geben wir dem kranken System den Todesstoß.« Auf Flugblättern des SPK hieß es: »Unser Lebensraum ist der Volkskrieg.« Im Rahmen ihrer Gruppentherapie war unter anderem auch eine »AG Sprengtechnik« gegründet worden.
Zum SPK gehörte auch die Psychologiestudentin Margrit Schiller. Immer wieder quartierten sich in ihrer Heidelberger Wohnung Baader, Ensslin, Meinhof und andere RAF-Mitglieder ein. »Sie studierten technische Pläne und Stadtpläne«, beschrieb Schiller diese Besuche später, »reinigten ihre Waffen oder wollten einfach nur entspannen, ausruhen und Musik hören.« Außerdem fiel ihr auf: »Alle liebten Donald-Duck-Hefte, lasen sie gemeinsam und lachten dabei wie Kinder.« 4
Die Guerilleros tranken selten Alkohol, sondern zogen Haschisch vor. Doch die Jahre des wilden Kommunelebens waren vorbei. Die RAF-Gründer sahen sich als Berufsrevolutionäre. Als der Verleger Klaus Wagenbach einmal mit Meinhof telefonierte und ihr sagte, dass er die nächsten drei Wochen mit seiner Familie in Urlaub fahre, erwiderte seine einstige Autorin: »Der Vietcong macht keinen Urlaub.« Margrit Schiller fühlte sich auch von der »absoluten Ernsthaftigkeit« der RAF-Leute angezogen. »Sie lebten, was sie sagten, sie spielten nicht.«
In Schillers Wohnung in Heidelberg schrieb Ulrike Meinhof am ersten größeren Text der RAF. Sie rauchte Kette, trank literweise Kaffee und arbeitete die Nächte durch. Sie versuchte zu begründen, warum das »Primat der Praxis« das Gebot der Stunde sei. Garniert mit Zitaten von Lenin, Mao Zedong und dem Black-Panthers-Aktivisten Eldridge Cleaver erklärt sie, dass die Linken genug analysiert und theoretisiert hätten. »Stadtguerilla«, so definierte sie, »heißt trotz der Schwäche der revolutionären Kräfte in der Bundesrepublik und West-Berlin hier und jetzt revolutionär intervenieren!« Ob es richtig sei, »den bewaffneten Widerstand jetzt zu organisieren«, schrieb Meinhof, »hängt davon ab, ob es möglich ist; ob es möglich ist, ist nur praktisch zu ermitteln«. Das »Konzept Stadtguerilla« schloss mit der Parole: »Sieg im Volkskrieg!« 5
In den Weihnachtstagen des Jahres 1970 traf sich der größte Teil der Gruppe in Stuttgart. Ulrike Meinhof wollte die Gelegenheit nutzen, um einmal in Ruhe über die Erfahrungen der letzten Monate zu sprechen. Sie war es leid, nachts Autos zu klauen und tagsüber neue Autos und Banken »auszuchecken«; sie war es müde, von einer Stadt in die nächste zu hetzen. In heutzutage schwer vorstellbaren Zeiten ohne Mobiltelefone und Internet war die Kommunikation einer klandestinen Gruppe, die beständig in Bewegung war, extrem kompliziert und aufwändig.
Meinhof zweifelte an der Praxis der RAF. Baader aber blockte ab und machte für die ständigen Standortwechsel Einzelne verantwortlich, die die Sicherheit der Gruppe gefährdet hätten. Als Meinhof nicht lockerließ, brüllte Baader: »Ihr Votzen, eure Emanzipation besteht darin, dass ihr eure Typen anschreit!« Das war selbst Gudrun Ensslin zu viel. Sie sagte zu ihrem Geliebten: »Baby, das kannst du gar nicht wissen.«
Eine Frau erklärte geschockt: »Ich halte viel aus, aber das mache ich nicht mit.« Baader hielt
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