"Natürlich kann geschossen werden": Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
Witwen und Waisen waren schnell vergessen. Ignes Ponto zog mit ihren beiden Kindern in die USA, weil sie sich in Deutschland nicht mehr sicher fühlte. Nur die Brüder des ermordeten Diplomaten Gerold von Braunmühl wandten sich öffentlich an die RAF und wurden dafür von konservativer Seite hart kritisiert.
Doch im Januar 2007 griff ein Mann unverhofft in die Debatte über die Terrorgruppe ein: Michael Buback verlieh den Angehörigen der RAF-Opfer eine Stimme, die kaum wirkungsvoller hätte sein können. Beruflich hatte er sich als Professor für Chemie nie mit dem Phänomen des Terrorismus beschäftigt. Als er in die Debatte eingriff, besaß er auch noch keine genaue Kenntnisse über die Gruppe und ihre Geschichte. Doch der einzige Sohn des Generalbundesanwalts Siegfried Buback ging bald mit der Hartnäckigkeit eines Naturwissenschaftlers und dem Selbstbewusstsein eines deutschen Professors zu Werke.
Zunächst verfasste Michael Buback, auf die Bitte eines Redakteurs der »Süddeutschen Zeitung« hin, einen Beitrag zur Frage, ob Bundespräsident Horst Köhler den einstigen RAF-Mann Christian Klar nach 24 Jahren Gefängnis begnadigen solle oder nicht. »Es ist gut und richtig«, schrieb Buback, »dass Angehörige der Opfer an Entscheidungen über die Begnadigung von Mördern nicht beteiligt sind.« 1 Und der Chemieprofessor sagte auch: »Die individuelle Begnadigung setzt für mich voraus, dass auch der individuelle Tatbeitrag bekannt ist.« 2
Nach der Veröffentlichung seines Artikels erfuhr Buback in den Medien eine Aufmerksamkeit, die er kaum bekommen hätte, wenn ihm der Nobelpreis in Chemie verliehen worden wäre. Ihm gefiel es, dass sich die Organisatoren der Talkshows um ihn rissen, er gab ein Interview nach dem anderen. Eines von ihnen, mit dem Radiosender SWR2, hörte zufällig der in Freiburg lebende Peter-Jürgen Boock. Erneut erklärte Buback, dass er wissen wolle, wer seinen Vater erschossen habe. Boock hatte schon ein paar Jahre zuvor Angehörigen von RAF-Opfern angeboten, ihre Fragen zu beantworten. Doch es hatte sich niemand bei ihm gemeldet. Jetzt beschloss er, Michael Buback anzurufen.
In einem über zweistündigen Telefongespräch eröffnete der RAF-Täter schließlich dem Sohn des RAF-Opfers, dass seines Wissens nach Christian Klar nicht auf dem Motorrad gesessen habe, von dem aus Siegfried Buback erschossen worden war. Knut Folkerts, der dafür zu lebenslanger Haft verurteilt worden war, auch nicht. Vielmehr habe Günter Sonnenberg die Maschine gelenkt und Stefan Wisniewski geschossen.
Michael Buback in einer Fernsehsendung vor Fotos von Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt, April 2007.
Nach dem Telefonat war Buback wie elektrisiert. Am nächsten Tag studierte er zusammen mit seiner Frau Zeitungsausschnitte aus den Wochen nach dem Mord an seinem Vater im April 1977. Der Name Wisniewski, den Boock ins Spiel gebracht hatte, tauchte damals in der Presse nicht auf. In den folgenden Wochen und Monaten las Buback die Anklagen und Urteile, die für den Mord an seinem Vater ergangen waren. Im August 1979, lernte er dabei, gut zwei Jahre nach der Tat, hatte die Bundesanwaltschaft eine Anklageschrift gegen Knut Folkerts vorgelegt, in der es hieß: »Der Angeschuldigte eröffnete unvermittelt und ohne abzusteigen aus einer Entfernung von ca. 70 cm schräg von oben nach unten das Feuer.« Da Folkerts Linkshänder ist - was dem Bundeskriminalamt bekannt war - hätte er rittlings auf dem Motorrad sitzen müssen, um in dieser Richtung zu schießen.
Dieser Widerspruch kam allerdings in dem Prozess gegen Folkerts in Stuttgart-Stammheim nicht zur Sprache. Der RAF-Mann hatte keinen Verteidiger seines Vertrauens und gab lediglich eine politische Erklärung ab. Zur Sache schwieg er, und Ende Juli 1980 verurteilte das Oberlandesgericht Stuttgart ihn zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Die Richter waren zwar nicht davon überzeugt, dass er die tödlichen Schüsse abgegeben habe, aber sahen es als erwiesen an, dass er zu den drei Tatbeteiligten gezählt und entweder das Motorrad oder den Fluchtwagen gesteuert oder auf dem Soziussitz gesessen habe.
Dass Folkerts möglicherweise zu Unrecht wegen des Mordes an Siegfried Buback verurteilt worden war, erfuhr Generalbundesanwalt Kurt Rebmann knapp zwei Jahre später, im März 1982. Da bekam er einen 82 Seiten starken Auswertungsbericht auf den Tisch, in dem Beamte des Bundesamtes für Verfassungsschutz ihre Gespräche mit der inhaftierten RAF-Frau Verena
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